Chodorkowski-Urteil erst in Moskaus Weihnachtsruhe

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Die Urteilsverkündung im zweiten Prozess gegen den einstigen russischen Oligarchen Michail Chodorkowski wurde verschoben. Begründet wurde die Entscheidung nicht. Eine alte Ablenkungstaktik, sagen Beobachter.

Moskau. Die Verteidigung war nicht informiert. Auch an die Journalisten war kein Sterbenswörtchen durchgesickert. Geschweige denn, dass westliche Beobachter und Parlamentsabgeordnete, die zum Zeichen der Solidarität extra nach Moskau angereist waren, etwas geahnt hätten.

In den frühen Morgenstunden hatten sie sich am Mittwoch vor dem Moskauer Gericht „Chamovniki“ versammelt. Schließlich, gegen acht Uhr, brachte jemand an der Eingangstür eine kleine Notiz an: Die Verkündung des Gerichtsurteils über Michail Chodorkowski und Platon Lebedew werde um zwölf Tage verschoben und finde nun am 27.Dezember statt. Einen Grund nannte die Gerichtssprecherin auch später nicht.

Mit großer Spannung war das Urteil im mittlerweile zweiten Prozess gegen den seit 2003 inhaftierten Exchef des einst größten russischen Ölkonzerns Yukos und seinen Kompagnon erwartet worden; nicht zuletzt, weil der Prozess auch als Gradmesser für die politische Großwetterlage im Land gilt und international verfolgt wird.

Hinter der Verschiebung der Urteilsverkündung hin zum Jahresende erblicken die meisten Beobachter den Versuch, genau diese öffentliche Aufmerksamkeit auf ein Minimum zu reduzieren. Die Verschiebung sei von langer Hand geplant gewesen, sagte Lebedews Anwalt Wladimir Krasnow. „Sie verstecken das Urteil unter der Weihnachtstanne“, titelt die Internetzeitung „Gazeta.ru“.

Der Zeitpunkt ist taktisch klug gewählt. So gut wie alle westlichen Journalisten werden im Weihnachtsurlaub und nicht vor Ort sein. Und wenn man die Verlesung des Urteils dann noch über zwei, drei Tage hinzieht, wird dieses auch in Russland kaum zur Kenntnis genommen, weil das Land ab 30.Dezember wegen der russischen Weihnachten für zehn Tage förmlich im Tiefschlaf versinkt und keinerlei Zeitungen erscheinen.

„Die Verschiebung der Urteilsverkündung ist eine alte Taktik, die schon oft aufgegangen ist“, erklärt Jana Jakowlewa der „Presse“. Jakowlewa saß wegen einer fabrizierten Anzeige gegen sie sieben Monate in Untersuchungshaft und führt seither die beratende NGO „Business Solidarnost“ für Privatunternehmer.

Unerwünschte Politambitionen

Vor allem der jetzige zweite Prozess gegen Chodorkowski gilt als absurd, wird diesem doch der Diebstahl und Weiterverkauf von 218Mio. Tonnen Öl vorgeworfen, obwohl er für ebendieses Öl laut erstem Prozess keine Steuern bezahlt hat und daher eine achtjährige Haftstrafe absitzt, die nächstes Jahr endet.

Die Staatsanwaltschaft fordert nun weitere sechs Jahre Haft. Premier Wladimir Putin, mit dem sich Chodorkowski unter anderem wegen eigener politischer Ambitionen überworfen hatte, demonstrierte bis zuletzt seine Abneigung gegenüber dem in der Gefangenschaft zur Kultfigur mutierten Ex-Oligarchen.

In jedem Fall stellt das Urteil eine Zäsur in der russischen Rechts- und Politikgeschichte dar – nicht zuletzt in der Geschichte des russischen Privatunternehmertums. Waren Unternehmer seit der Causa Yukos vermehrt zum Freiwild korrupter Sicherheitsorgane und Justizbeamter geworden, so ist die Zahl der Prozesse zurückgegangen, seit der neue Kremlchef Dmitrij Medwedjew den „Rechtsnihilismus“ angeprangert und Änderungen in Strafrecht und Strafprozessordnung durchgesetzt hat.

„Es gibt weniger Strafprozesse, aber das auch deshalb, weil die Möglichkeit sich freizukaufen, zugenommen hat“, bilanziert Jakowlewa. „Die in der Verfassung verankerte Unschuldsvermutung gilt für Unternehmer leider nicht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2010)

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