Leitartikel

Die eiserne Queen, der altgrüne König

Elizabeth II. verfügte über jene Eigenschaften, die wir im Krisenjahrzehnt so dringend leben müssten. Der Tod der Ikone ist ein schwerer Verlust für Europa.

An der Spitze regiert jahrzehntelang eine Frau. Die Regierung wird innerhalb von 50 Jahren das dritte Mal von einer Premierministerin geführt. Der Ersten Dame im Reich folgt nach ihrem Tod nun ein feinsinniger Kenner von Architektur und Pionier in Sachen biologische Landwirtschaft. Das klingt wie einer dieser skandinavischen Wunderstaaten, die uns schon in der Schule als große Vorbilder genannt wurden. Doch die Rede ist von Großbritannien, das seine Königin, Galionsfigur eines noch immer starken Reichs und moralische Übermutter der Nation, verloren hat.

Der Verlust und der Abschied der bisher zweitlängstdienenden Regentin wird zu einem kollektiv weltweit erlebten Moment, den sich Millionen Menschen merken werden. Für Großbritannien und Europa ist es ein historischer Verlust und Abschied von der eigenen Größe. In der 70 Jahre dauernden Ära Elizabeth zerbröselte das britische Königreich zu einem mittelgroßen Land und einem vor allem symbolisch zusammengehaltenen Staatenbund aus England, den mit Abspaltung kokettierenden Töchtern wie Schottland und ehemaligen Kolonien, die mehr oder weniger klar mit der nostalgisch verharmlosten Vergangenheit brechen wollen. Es spricht viel dafür, dass Charles III. und sein vorgesehener Nachfolger, William, das Commonwealth nicht mehr werden zusammenhalten können.


Für das von Brexit, Energiekrise und Boris Johnsons Eskapaden schwer gebeutelte Land markiert der Tod der Queen einen weiteren Tiefpunkt. Sie lebte das offensichtliche Gegenstück zum politischen Populismus der vergangenen Jahrzehnte, hielt sich an Protokoll und Tradition. Moden, PR-gestützte Aussagen zwecks Mehrheitsbefriedigung oder persönliche Befindlichkeiten, die die gesamte europäische Elite, Medien inklusive, so prägen, waren ihr fremd. Sie verkörperte tiefen Respekt vor der Demokratie und als Kind des Zweiten Weltkriegs und Zeugin der Nazi-Attacke auf England stets auch das Widerstands- und Wehrhafte, das immer Großbritanniens Rolle in Europa war.

Europa hat die Queen ebenso wenig verlassen wie UK durch den Brexit. Die Briten mögen sich ein Stück weit von Brüssel entfernt haben – der Rückblick auf die Amtszeit Elizabeths zeigt, wie sie immer auch die europäische Ikone war. Eigenschaften wie Verzicht, Selbstdisziplin, Beharrlichkeit, Bescheidenheit und Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Gesellschaft sind in Europa selten geworden, nicht nur bei den Regierenden. Eine Renaissance dieser hehren Eigenschaften wäre angesichts des vor zwei Jahren eingesetzten Krisenjahrzehnts nicht nur hilfreich, sondern notwendig, um den vor uns aufgetürmten Problemberg abzutragen.

Die von der Queen ausgehende Faszination jenseits von Streamingserien und Klatschblättern liegt in ihrer Rolle als Matriarchin einer Familie, die zwischen nett und schrecklich oszilliert. Pädagogisch wertvoll dürfte sie nicht immer vorgegangen sein, zu Pflicht und Strenge dürfte sich emotionale Unterkühlung gesellt haben. Unter dem Strich übersteigt die Zahl an Tragödien, Verletzungen, Intrigen, schwarzen und gemeingefährlichen Schafen die einer durchschnittlichen Großfamilie. Ganz fremd ist vieles davon vielen Menschen aber leider auch nicht. Vielleicht dienen die Royals deswegen so gut als Projektionsfläche.

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