Vormarsch der Ukraine

20 Ortschaften zurückerobert: Ukraine treibt Gegenoffensive weiter voran

Nach Angaben des ukrainischen Militärs konnten seit Anfang September mehr als 3000 Quadratkilometer besetzten Gebiets zurückerobert werden. Vor allem rund um die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw habe es Geländegewinne gegeben.
Nach Angaben des ukrainischen Militärs konnten seit Anfang September mehr als 3000 Quadratkilometer besetzten Gebiets zurückerobert werden. Vor allem rund um die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw habe es Geländegewinne gegeben. via REUTERS
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Die ukrainische Offensive schreitet rasch voran. Die von Russland in den besetzten Gebieten der Region Charkiw installierte Militärverwaltung räumt eine deutliche Übermacht der ukrainischen Truppen ein: Sie seien acht Mal stärker als die russischen Einheiten.

Die Ukraine treibt nach den jüngsten militärischen Erfolgen ihre Gegenoffensive weiter voran. Allein innerhalb des vergangenen Tages seien mehr als 20 russisch-besetzte Ortschaften zurückerobert worden, teilte der Generalstab am Montag mit. Das britische Verteidigungsministerium erklärte unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse, Russland habe vermutlich den Abzug der Truppen aus dem gesamten zuvor besetzten Gebiet westlich des Flusses Oskil in der Region Charkiw befohlen.

Tausende russische Soldaten hatten angesichts des überraschend schnellen Vormarsches der ukrainischen Truppen ihre Stellungen zuletzt aufgegeben und dabei großen Mengen an Munition und Ausrüstung zurückgelassen. Witali Gantschew, ein von Russland eingesetzter Statthalter in den besetzten Gebieten Charkiws, räumte am Montag im staatlichen russischen Fernsehen ein, dass die Ukrainer Siedlungen im Norden der Region erobert hätten. Sie seien mit acht Mal mehr Soldaten angerückt als Russland zusammen mit seinen prorussischen Verbündeten in dem Gebiet stationiert gehabt habe. "Die Lage wird von Stunde zu Stunde schwieriger", sagte er. Man habe etwa 5000 Zivilisten nach Russland in Sicherheit gebracht. Die ukrainische Grenze zur russischen Region Belgorod sei inzwischen geschlossen.

Die Angaben ließen sich unabhängig nicht überprüfen. Russland hatte am Wochenende einige seiner schwersten Rückschläge in dem seit mehr als einem halben Jahr andauernden Krieg zugefügt bekommen. Entscheidende Nachschubdrehkreuze mussten aufgegeben werden. Nach Angaben des ukrainischen Militärs konnten seit Anfang September mehr als 3000 Quadratkilometer besetzten Gebiets zurückerobert werden. Vor allem rund um die zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw habe es Geländegewinne gegeben. Ausgehend von Charkiw komme das ukrainische Militär auch Richtung Süden und Osten voran.

Russland ergreift Gegenmaßnahmen

Im Zuge des Rückzugs feuerte Russland nach ukrainischen Angaben am Sonntag auf Kraftwerke, was zu großflächigen Ausfällen der Strom-und Wasserversorgung in Charkiw und angrenzenden Regionen geführt habe. Präsident Wolodymyr Selenskij warf Russland vor, als Vergeltung für die Erfolge bei der ukrainischen Gegenoffensive gezielt die zivile Infrastruktur des Landes zu attackieren. "Keine Militäreinrichtungen. Das Ziel ist es, den Menschen Licht & Wärme zu berauben", schrieb er auf Twitter.

Sein Berater Mychajlo Podoljak teilte mit, dass in Charkiw eines der größten Kraftwerke des Landes getroffen worden sei. Das sei "die Reaktion eines Feiglings" auf die Flucht seiner eigenen Armee vom Schlachtfeld. Am Montagmorgen teilte der Gouverneur von Charkiw jedoch mit, in der Region sei die Strom- und Wasserversorgung zu 80 Prozent wiederhergestellt. Reuters-Journalisten in Charkiw konnten bestätigten, dass es wieder Strom gab. Wasser lief jedoch zunächst noch nicht wieder.

Russland äußerte sich nicht zu den Vorwürfen. In der Vergangenheit hat es aber etwa nach Angriffen auf Kliniken und Bahnhöfe, für die sein Militär verantwortlich gemacht wurde, stets erklärt, zivile Ziele nicht ins Visier zu nehmen.

„Wie ein Schneeball, der den Hang runterrollt"

Selenskij sprach in einem am Freitag aufgezeichneten CNN-Interview von einem möglichen Durchbruch in dem Krieg. Das britische Verteidigungsministerium erklärte am Montag, die schnellen Erfolge der ukrainischen Streitkräfte hätten erhebliche Auswirkungen auf die gesamten operativen Pläne Russlands. Im Süden nahe Cherson habe das russische Militär zudem offenbar damit zu ringen, ausreichend Nachschub über den Fluss Dnjepr an die Front zu bringen.

Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow sagte der "Financial Times", die Offensive laufe weitaus besser als erwartet. Sie sei wie ein Schneeball, der einen Hang runterkugle. "Das ist ein Zeichen, dass Russland besiegt werden kann." Wichtig sei jetzt, das zurückeroberte Gebiet zu sichern gegen einen möglichen Gegenangriff russischer Truppen auf die ausgedünnten ukrainischen Nachschublinien. Selenskij sagte in dem CNN-Interview, im Winter könnten die ukrainischen Streitkräfte weitere Geländegewinne erzielen, falls Kiew mehr leistungsstarke Waffen erhalte. Angesichts der militärischen Erfolge der Ukraine hatten sich zuletzt auch in Deutschland Stimmen gemehrt, der Regierung in Kiew weitere schwere Waffen zu liefern, inklusive Kampfpanzern wie den Leopard 2 aus deutscher Fertigung.

(APA/dpa/Reuters)

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