Steuererhöhung

Regierung einigt sich bei Abschaffung der Kalten Progression

Bundeskanzler Karl Nehammer sprach von einem "historischen Schritt", Vizekanzler Werner Kogler versprach mehr Geld für jene, "die es brauchen".
Bundeskanzler Karl Nehammer sprach von einem "historischen Schritt", Vizekanzler Werner Kogler versprach mehr Geld für jene, "die es brauchen".IMAGO/SEPA.Media
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Das Vorhaben soll morgen im Ministerrat beschlossen werden. Zwei Drittel gehen direkt an die Steuerzahler zurück, ein Drittel entfällt auf "jährliche Entlastungsmaßnahmen“, teilte das Bundeskanzleramt am Dienstag mit.

Die türkis-grüne Bundesregierung hat die Verhandlungen zur Abschaffung der Kalten Progression und Valorisierung der Sozialleistungen abgeschlossen. Am morgigen Mittwoch soll das Vorhaben im Ministerrat beschlossen werden. Abgeschafft wird die schleichende Steuererhöhung mit Jahresbeginn. Zwei Drittel der Einnahmen durch die Kalte Progression fließen künftig automatisch via Einkommenssteuer und Absetzbeträge zurück an die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Offen war bis zuletzt, wie mit dem verbleibenden Drittel der Einnahmen, das rund 600 Mio. Euro umfasst, umgegangen werden soll. Wie das Bundeskanzleramt am Dienstag in einer Aussendung mitteilte, sollen davon vor allem kleinere und mittlere Einkommen profitieren bzw. diese jährlich für Entlastungsmaßnahmen verwendet werden, hieß es.

Nehammer spricht von „historischem Schritt"

Nach Berechnungen von WIFO und IHS umfasst die schleichende Steuererhöhung ein Volumen von 1,85 Mrd. Euro. Davon werden 1,23 Mrd. durch die automatische Anpassung ausgeglichen. Das restliche Drittel, also 617 Mio. Euro, stünden nun für weitere Entlastungsmaßnahmen zur Verfügung, hieß es. Die Pläne der Regierung sehen etwa vor, die Grenzbeträge der untersten beiden Tarifstufen über der Inflationsrate zu erhöhen. Die Absetzbeträge (Alleinverdiener- und Alleinerzieherabsetzbetrag, Verkehrsabsetzbeträge, Pensionistenabsetzbeträge) würden in Höhe der vollen Inflation angepasst, hieß es.

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) nannte die Abschaffung der Kalten Progression einen "historischen Schritt". Damit werde vor allem der Mittelstand entlastet, denn dieser leiste einen "immensen Beitrag zum Wohlstand in Österreich", so Nehammer. Die Abschaffung der Kalten Progression sei in den vergangenen Jahrzehnten Teil zahlreicher Regierungsprogramme gewesen. Dieser Regierung sei es gelungen, "diese Maßnahme endlich umzusetzen", betonte Nehammer.

Kogler: „Wir machen es jetzt"

In dasselbe Horn stieß auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne): "Vergangene Bundesregierungen haben immer versprochen, die schleichende Steuererhöhung - Kalte Progression genannt - abzuschaffen. Wir machen es jetzt." Zwei Drittel würden direkt an die Steuerzahler zurückfließen, so Kogler: "Andererseits nutzen wir ein Drittel dieses Volumens zur Entlastung niedriger Einkommen und sorgen so für mehr soziale Tragfähigkeit in unserer Gesellschaft." Zudem würden auch die Sozial- und Familienleistungen ab kommenden Jahr automatisch an die Inflation angepasst, erinnerte Kogler: "Damit bleibt denen, die es brauchen, unterm Strich mehr Geld."

Weniger euphorisch zeigten sich die Neos. Für deren Wirtschafts- und Sozialsprecher, Gerald Loacker, wäre der Schritt nur dann "historisch" gewesen, wenn die Kalte Progression vollständig und rückwirkend mit 1. Jänner 2022 abgeschafft worden wäre. Dies sei aber nicht erfolgt. Der "hart arbeitende Mittelstand" habe die Rückerstattung der Kalten Progression "zur Gänze" verdient, bemängelte Loacker. Dass der Finanzminister das verbleibende Drittel für den finanziellen Spielraum benötige, sei ein "Märchen", so Loacker: "Die Inflation spült dem Finanzminister Mehreinnahmen in Milliardenhöhe in die Kassa - bei Umsatzsteuer, NoVa, Grunderwerbsteuer und vielen anderen Abgaben - die Regierung hat also mehr als genug Spielraum für Entlastungen."

Agenda Austria mit milder Kritik

Etwas milder im Ton fiel hingegen das Urteil der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria aus. Auch wenn die Umsetzung nicht ganz perfekt sei, sei die Abschaffung der Kalten Progression doch eine "große Sache", wofür der Regierung Anerkennung gebühre, hieß es in einer Stellungnahme. Jedoch stößt man sich auch bei Agenda Austria daran, dass die sie nicht komplett abgeschafft wurde, sondern nur für die untersten Tarifstufen. Dies könnte im schlechtesten Fall zu noch mehr Teilzeitanreizen führen, weil Mehrarbeit stärker belastet werde, so die Argumentation.

Die kalte Progression ist ein Effekt, der durch das Zusammenwirken eines progressiven Steuertarifs, der Inflation und Gehaltserhöhungen entsteht. Gehälter werden jedes Jahr angehoben, die Tarifstufen blieben aber unverändert. Wenn die Einkommen steigen, die Tarifstufen aber fix sind, erhöht sich die Steuerleistung, wenn man in eine Stufe vorrückt. Folge: Von der Bruttoerhöhung bleibt netto weniger über. Je mehr Arbeitnehmer durch Lohnerhöhungen also in höhere Tarifstufen vorrücken, desto mehr schöpft der Staat von den Lohnerhöhungen ab. Diesen Effekt nennt man kalte Progression - "kalt", weil dafür keine aktive Handlung oder Steuererhöhung nötig ist.

(APA)

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