Skinhead-Affäre: Oberster Gerichtshof gibt ORF Recht

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SkinheadAffaere Gesamtes ORFMaterial geschuetzt(c) REUTERS (LISI NIESNER)
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Der Oberste Gerichtshof entschied in der Causa der umstrittenen "Am Schauplatz"-Folge, dass der ORF das gesamte Drehmaterial nicht herausgeben muss. Für den ORF "ein Sieg der Pressefreiheit".

Der Oberste Gerichtshof (OGH) entschied in der Causa der umstrittenen "Am Schauplatz"-Folge, dass der ORF das gesamte Drehmaterial nicht herausgeben muss. Der Entscheid des Wiener Oberlandesgerichts (OLG) auf die Herausgabe des Materials zu der Folge "Am rechten Rand" von Redakteur Ed Moschitz ist damit aufgehoben.

ORF-Anwalt Gottfried Korn hatte bei der Generalprokuratur eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes angeregt und einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gestellt.

OLG-Bescheid basierte "auf Luft"

Der OGH hat festgestellt, dass der ORF durch den OLG-Bescheid mit diesem Antrag in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt wurde.

Das Redaktionsgeheimnis schütze "alle Mitteilungen an Journalisten. Da gibt es keine Abwägungen. Das Redaktionsgeheimnis ist absolut", stellte der Senatsvorsitzende Eckart Ratz in der Begründung fest. Der als nichtig aufgehobene OLG-Beschluss hat laut Ratz "auf Luft" basiert.

Sämtliche Mitteilungen geschützt

Für das Höchstgericht sind sämtliche Mitteilungen, die einem Journalisten in Ausübung seines Berufs zukommen, vom Redaktionsgeheimnis geschützt, betonte der Fünf-Richter-Senat. Folglich waren davon auch die Filmaufnahmen umfasst, die Moschitz mit den beiden Skinheads anfertigte.

Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wollte sämtliche Bänder beschlagnahmen. Das wurde in erster Instanz von der zuständigen Richterin abgelehnt, in zweiter Instanz bekam die Anklagebehörde dann Recht. Der ORF weigerte sich unter Berufung auf das Redaktionsgeheimnis, das Drehmaterial herauszugeben.

Im Nachhinein stellte sich heruas, dass im betreffenden Senat des OLG die Schwester einer Oberstaatsanwältin saß, die in dieser Sache bereits tätig gewesen war. Damit war eine Unvereinbarkeit gegeben, die für sich bereits die Nichtigkeit des OLG-Beschlusses bewirkt hätte. Das machte der OGH nun deutlich.

"Lebenswichtige Funktion als 'public Watchdog'"

Senatspräsident Ratz sprach von einem "Betriebsunfall". Gravierender bewertete der OGH, dass die Justiz im vorliegenden Fall das Redaktionsgeheimnis nicht entsprechend beachtet hatte. Die Sicherstellung von Materials stelle "einen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung dar, ist doch der Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Quellen eine der Grundbedingungen der Pressefreiheit", so der OGH in einer offiziellen Erklärung.

Ohne solchen Schutz könnten Quellen abgeschreckt werden, Medien über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu informieren, befürchtet das Gericht. Dadurch könne die "lebenswichtige öffentliche Funktion der Medien als 'public Watchdog' beeinträchtigt" werden.

Redaktionsgeheimnis

Das Redaktionsgeheimnis umfasse "ausnahmslos alles, was Medieninhabern, Herausgebern, Medienmitarbeitern und Arbeitnehmern eines Medienunternehmens oder Mediendienstes im Hinblick auf ihre Tätigkeit bewusst mitgeteilt wurde", so der OGH.

Die öffentliche Wahrnehmbarkeit eines Geschehens schließe darin enthaltene Informationen nicht vom Schutz der Vertraulichkeit journalistischer Quellen aus, gab der OGH zu bedenken.

"Die Presse kann mir ein Denkmal setzen"

"Ein Sieg der Pressefreiheit, nicht nur für den ORF, auch für die Printmedien"", kommentierte ORF-Anwalt Korn die Entscheidung. "Die Presse kann mir ein Denkmal setzen."

Ähnlich sah das der Präsident der Journalistengewerkschaft, Franz C. Bauer: "Die Entscheidung des OGH ist bahnbrechend für die Meinungsfreiheit in diesem Land und eine erfreuliche Präzisierung des Redaktionsgeheimnisses." Für Journalisten sei damit für ihr zukünftiges Arbeiten klargestellt, welchen umfassenden Schutzumfang dieses Instrument biete. Kritik an der OGH-Entscheidung kam von der FPÖ.

Moschitz und Skinheads anwesend

Moschitz gab sich ebenfalls zufrieden. "Ich hoffe nun, dass die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt das gegen mich laufende Beschuldigtenverfahren bald einstellen wird", sagte er.

Der ORF-Redakteur hatte die Verhandlung im Justizpalast ebenso besucht wie die beiden Skinheads, die mit rund zwanzigminütiger Verspätung und einem lautstarken "Morgen!" in den Gerichtssaal gepoltert kamen, was die Höchstrichter sichtlich irritierte.

Verfahren gegen Moschitz noch offen

Offen ist noch das Verfahren, in dem Moschitz als Beschuldigter geführt wird. Ihm wird von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache vorgeworfen, die beiden Skinheads bei einer FPÖ-Veranstaltung zur Wiederbetätigung angestiftet zu haben. Nachdem auf dem Originalband dieser Begegnung keinerlei behauptete Parolen zu hören waren, forderte die Staatsanwaltschaft sämtliche andere Bänder des wochenlangen Drehs heraus.

"Die Ermittlungen werden dadurch nicht einfacher", kommentierte Johann Fuchs, Erster Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, die Entscheidung. Das der Anklagebehörde bisher übermittelte Material werde man vorerst behalten: "Von Zurückgeben kann keine Rede sein", so Fuchs. "Alles, was ein Journalist freiwillig herausgibt, ist nicht vom Redaktionsgeheimnis umfasst."

Strache noch nicht einvernommen

Als nächste Schritte sind die - zum Teil ersten - gerichtlichen Befragungen der Verdächtigen geplant. Ebenfalls noch ausständig ist die Beschuldigteneinvernahme von FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache, dem in einem separaten Verfahren - basierend auf einer Anzeige von "Am Schauplatz"-Chef Christian Schüller - falsche Zeugenaussage und Verleumdung vorgeworfen wird.

>>> Chronologie der "Skinhead-Affäre"

ORF-Reportage vor Gericht

Die Skinhead-Reportage, bei der ein ORF-Team um "Am Schauplatz"-Reporter Eduard Moschitz mehrere Tage zwei jugendliche Glatzköpfe begleitet hatte, beschäftigt bereits seit dem Frühjahr die Gerichte. Bei der Auseinandersetzung um das Drehmaterial will die Staatsanwaltschaft prüfen, ob von den Jugendlichen Nazi-Sager getätigt wurden bzw. ob etwaige Parolen, wenn es solche geben sollte, vom ORF-Reporter angeregt wurden. Laut ORF sind auf dem Drehmaterial keine strafbaren Handlungen zu sehen, die eine gerichtliche Verfolgung nach sich ziehen würden.

Auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wird als Beschuldigter geführt, allerdings wegen des Verdachts der falschen Beweisaussage und des Verdachts der Verleumdung, was auf eine Anzeige von "Am Schauplatz"-Chef Christian Schüller zurückgeht. Strache beschuldigt den ORF-Redakteur Ed Moschitz, zwei Jugendliche bei einer FPÖ-Veranstaltung zu Nazi-Sagern aufgefordert zu haben. Der ORF hatte diese Vorwürfe zurückgewiesen und auf den Video-Aufnahmen, die die Begegnung dokumentieren, waren ebenfalls keine Nazi-Sager zu hören. Ein Sachverständiger des Gerichts hat die von der FPÖ behauptete Manipulation des Bandes nicht finden können.

(APA/Red.)

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