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Seidl-Vorwürfe: Mehr Mitarbeiter erzählen von Fehlverhalten gegenüber Kindern

Ulrich Seidl
Ulrich SeidlIMAGO/Independent Photo Agency I
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Es gibt weitere Vorwürfe, was den Dreh von "Sparta“ betrifft. Etwa ein gefährliches Auto-Manöver, unprofessionelle Betreuung und ein Kind, das trotz Fiebers am Set gehalten wurde.

Mehrere anonym bleibende Mitarbeiter von Ulrich Seidls neuem Film "Sparta", die in Rumänien am Set dabei waren, erheben im "Falter" kurz vor der Weltpremiere in San Sebastian (in Toronto wurde der Film gestrichen) neue Vorwürfe zu den Drehbedingungen. Sie berichten von einer gefährlichen Situation beim Dreh, der mehr als mangelhaften Versorgung eines kranken Kindes und bestätigen darüber hinaus die im "Spiegel" erhobenen Vorwürfe, die Familien seien nicht über den genauen Inhalt des Streifens informiert worden.

Der Regisseur hatte zuvor gemeint, er habe "in vielen Einzelgesprächen gemeinsam mit einer Übersetzerin die Eltern vor den Dreharbeiten über alle wesentlichen Inhalte des Films unterrichtet". Eine Übersetzerin, die 2018 und 2019 für "Sparta" gearbeitet hat, widerspricht Seidls Stellungnahme diametral: Der fürs Casting zuständige Mitarbeiter von Seidls Produktion habe sie angewiesen, nicht zu verraten, dass es in dem Film um Pädophilie gehe. (Er erzählt von einem Mann, der in Rumänien Kinder und Jugendliche im Judo trainiert und sich dabei seinen verdrängten pädophilen Neigungen stellen muss.)

Auto mit sieben Kindern ins Schleudern gekommen

Die Vorwürfe wiegen wieder schwer. So sagt eine Übersetzerin, die 2018 und 2019 für "Sparta" am Filmset gearbeitet hat, dass sie ohne vorherige Ankündigung und ohne pädagogische Ausbildung auch die Betreuung der minderjährigen Laiendarsteller übernommen habe und plötzlich die einzige Bezugsperson gewesen sei. Das berichtet der "Falter". Sie habe sich als "Teil einer respektlosen Situation" gefühlt, wird sie zitiert.

Ein anderer Mitarbeiter schildert eine Situation, als die Hauptfigur (gespielt von Georg Friedrich), mit sieben Kindern in ein Auto gestiegen sei, das in weiterer Folge "voll ins Schleudern" gekommen und gegen einen eisernen Torpfosten geknallt sei. Das Auto sei dabei beschädigt worden, die Insassen blieben unverletzt. Ein Kollege habe zu ihm gemeint, dass es in Österreich "niemals möglich" wäre, solche Szenen zu drehen. Dafür bräuchte man Stuntprofis.

Zu den bisher bekannten Vorwürfe

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Einen ausgebildeten Kinder-Coach habe es nicht gegeben, es seien lediglich sporadisch zwei Kindergärtnerinnen anwesend gewesen, jedoch nur im Aufenthaltsraum, nicht am Set. Ein kranker Bub, der hohes Fieber hatte, sei mangels einer Couch auf einen Kleiderhaufen gebettet worden, nach Hause sei er erst nach Stunden gebracht worden, da Seidl gesagt habe, man werde den Buben vielleicht noch brauchen.

Ein Neunjähriger spielte in einer Szene den Stiefsohn eines gewalttätigen Alkoholikers. Der Mann sollte sich dafür betrinken. Improvisation ist eins von Seidls Arbeitsprinzipien. Das Kind, dessen Vater selbst Alkoholiker gewesen sein soll, weinte offenbar während des Drehs.

So wurde es dem „Falter“ von Mitarbeitern berichtet, die ihre Namen nicht nennen wollten. Sie würden teils rechtliche Konsequenzen durch die Produktionsfirma fürchten, da sie eine Verschwiegenheitsklausel unterschrieben hätten. Andere würden Klagen der rumänischen Familien fürchten. 

Nach Kindern aus zerrütteten Verhältnissen gesucht

Ein weiterer Informant berichtet, dass er vorzeitig aus dem Projekt ausgestiegen sei, als klar geworden sei, dass beim Casting bewusst nach Kindern aus zerrütteten Verhältnissen gesucht werden sollte. Er habe damals eine Anwältin in Rumänien kontaktiert, um die Kinder- und Jugendschutzhilfe zu informieren. Da damals weder Drehorte noch Cast feststanden, seien die Bemühungen jedoch versandet.

Namentlich genannt wird in dem Bericht nur der Ausstatter Andreas Donhauser, der die Vorwürfe zurückweist. Er habe keine schlechte Stimmung erlebt. "Die Kinder hatten viel Freiraum und eine Hetz", so Donhauser. Seidl selbst reagierte gegenüber der Wochenzeitung nicht mit einer Stellungnahme zu den neuen Vorwürfen, da es für ihn nicht möglich sei, "die Sachverhalte innerhalb eines so kurzen Zeit ausführlich zu berichtigen", wie es anlässlich der eingeräumten Frist von einem Tag im "Falter" heißt. Die ursprünglich geplante Weltpremiere am Toronto Film Festival war im Vorfeld seitens des Festivals abgesagt worden. Nun feiert der Streifen am Sonntag in San Sebastian seine Uraufführung.

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Koproduktionsfirma zieht sich aus Ayubs "Mond" zurück

Die Vorwürfe rund um die Dreharbeiten haben auch Auswirkungen auf die junge Wiener Regisseurin Kurdwin Ayub und deren nächsten Spielfilm "Mond". Eine "sehr berühmte deutsche Koproduktion" sei abgesprungen, sagte sie im "FM4 Film Podcast". Offenbar wolle man sich von der Ulrich Seidl Film Produktion distanzieren, die den Film wie schon ihren bei der Berlinale ausgezeichneten und soeben in Österreich angelaufenen Debütspielfilm "Sonne" produziert.

Eine Woche nach dem "Spiegel"-Bericht über "Sparta" habe die deutsche Koproduktionsfirma ihren Rückzug per Anruf mitgeteilt, schilderte Ayub. "Wir waren geschockt", so die 1990 im Irak geborene Wiener Regisseurin. Das Projekt "Mond" sei bereits zur Hälfte finanziert, wurde aber nun zurückgeworfen.

Der ORF unterstützt "Mond" im Rahmen des Film/Fernseh-Abkommens finanziell, das könnte auch so bleiben: "Basierend auf der uns derzeit bekannten Informationslage besteht zum gegenwärtigen Zeitpunkt kein Grund für eine Rücknahme der Förderung. Eine umfassende rechtliche Prüfung steht allerdings noch aus."

Ayub betonte, bei dem Dreh von "Sparta" nicht dabei gewesen zu sein. Sie könne nicht sagen, was vorgefallen ist. Seidl habe sie allerdings als "schüchternen Mann" kennengelernt, der eine Art Vaterfigur für sie sei. Er habe sie von Anfang an gefördert und darauf geachtet, dass sie glücklich sei. Ohne ihn würde es "Sonne" nicht geben. Besorgt zeigte sie sich über die Zukunft der Ulrich Seidl Film Produktion und den vielen selbstständigen Mitarbeitern, die vor dem Nichts stünden.

Gefährdet sei die Realisierung aber nicht, sagte Ayub: "Es gibt mehrere Interessenten für eine Koproduktion. Ein Interessent hat sich zurückgezogen, was auch sein Recht ist, weil wir vertraglich nicht gebunden waren. Es waren nur Gespräche bisher. Ich habe im FM4-Podcast aus einer Emotion heraus gesprochen, weil ich sehr verwundert über dieses Vorgehen war. Das Projekt 'Mond' ist dadurch jedoch nicht gefährdet."

Filminstitut: "Keine Art von Missbrauch wird toleriert"

Auch das Österreichische Filminstitut (ÖFI) meldete sich am Mittwoch zu Wort, ohne namentlich auf "Sparta" einzugehen. Man nehme "die jüngsten Diskussionen über Dreharbeiten eines geförderten Films" zum Anlass, um grundsätzlich festzuhalten: "Als öffentliche Förderinstitution tragen wir Mitverantwortung daran, dass Filmproduktionen von einem kreativen Klima getragen werden, das auch ethischen Grundsätzen entspricht. Keine Art von Missbrauch, Manipulation, Diskriminierung oder Übergriffen wird toleriert. Künstlerische Prozesse und Arbeitsweisen müssen frei sein, aber sie sind kein Freibrief." Man stelle sich dem Diskurs und plane  Informationsveranstaltungen.

(APA/red.)

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