Arbeiter in einer Schwefelmine in Ijen auf Java, Indonesien.
Essay

Philipp Blom: Danach regieren wieder Mikroben

Die Unterwerfung der Natur prägt das Selbstbild vieler Gesellschaften – doch das hat, wie sich jetzt zeigt, seinen Preis. Wir sollten, statt Homo sapiens als Herrn der Schöpfung zu begreifen, ihn als zutiefst in alle möglichen Zusammenhänge verstricktes Tier verstehen. Ein Vorabdruck.

Die Unterwerfung der Natur ist längst zu einer globalen Praxis geworden. In Gesellschaften, die sich gerne als aufgeklärt verstehen und die auch häufig auf eine christliche Tradition zurückblicken, ist dieser Wahn in Naturverständnis und Menschenbild besonders tief verwurzelt. Er wird in Familien und Schulen weitergegeben, findet sich als Muster in Geschichten, Filmen und Video-Games, auch in Gesetzen, Bemerkungen und sogar Witzen, aus denen heraus die soziale Welt sich den Einzelnen als Träger der gleichen Bezüge darbietet.

Diese Unterwerfung prägt den Weltzugang und das Selbstbild vieler Gesellschaften, die sich auf ein gemeinsames Erbe berufen. Aus ihrer Perspektive heraus stellt sich die Geschichte als eine Ausbreitung der Zivilisation und die Entfaltung des Fortschritts dar, der durch Zufall oder Vorsehung in der eigenen Lebensweise oder einer sehr ähnlichen seinen höchsten Ausdruck findet. Der Aufstieg vom Nomadentum zu Ackerbau, Stadtkulturen, Schrift und Geld, Rad und Eisenbahn, Menschenrechten, liberalen Demokratien und globalen Märkten scheint mit unaufhaltsamem Momentum voranzuschreiten.

So zumindest beschrieben es Beobachter im sogenannten Westen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, aber die Geschichte hat gleich mehrere andere Wendungen genommen. Die Eschatologie der liberalen Demokratien und der liberalen Märkte ist einerseits von der Techno-Zukunft des Silicon Valley abgelöst worden, das dieselbe alte Sehnsucht in neue Bilder kleidet und als Transhumanismus, Besiedlung ferner Planeten oder Herrschaft der Künstlichen Intelligenz inszeniert. Auf anderen Gebieten ist dieses Narrativ an der Wirklichkeit zerbrochen, von der Klimakatastrophe bis hin zum Aufbrechen postimperialer Wunden und Demütigungen vom Mittleren Osten bis in die Ukraine. Jenseits dieser offensichtlichen Konflikte rasen die Missachtung natürlicher Systeme und der damit verbundene Kollaps der Biodiversität einer vorhersehbaren Katastrophe zu. Anstatt eines himmlischen Jerusalem erscheinen in der mittleren Distanz ein Sodom und Gomorrha.

Das gezähmte und beherrschte Land, der unterworfene Planet, zeigt sich überfordert von so viel willkürlicher und plötzlicher Manipulation. Organische Verbindungen, über Jahrmillionen entstanden und in der Erde gespeichert, wurden innerhalb von wenigen Jahrzehnten wieder in die Atmosphäre geblasen: Ihre Energie befeuerte den rapiden Aufstieg einer Spezies zu ungeahnter Macht.

Aus der Perspektive ökologischer Systeme aber hat dieser Aufstieg einen Preis: Fein aufeinander eingespielte Lebenszyklen kollabieren, chemische Zusammensetzungen und Temperaturen von Ozeanen und Atmosphäre ändern sich, Ozeanströmungen und Höhenwinde wechseln die Richtung, Polareis schmilzt ab, Regenwälder verschwinden, Meeresspiegel steigen, die Biodiversität kollabiert. Das himmlische Jerusalem ist noch unbewohnt und schon längst kellerfeucht.

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