Erste Republik

Die Ermordung von Hugo Bettauer

Der Schriftsteller und Journalist Hugo Bettauer zog sich ab 1920 den Hass rechtsextremer und nationaler Kreise zu. Es fand sich ein nützlicher Idiot, der zum Revolver griff. Der Prozess wurde zur Farce.

So gut wie jeder hat im Wien der 1920er-Jahre Hugo Bettauer gelesen, das beweisen die hohen Auflagen seiner Bücher, doch so gut wie keiner gab es zu. Seine Schriften wurden als literarisch minderwertig, obszön, gar pornografisch bewertet. Anton Kuh meinte, Bettauer sei „entgiftet vom Ehrgeiz des Niveaus“.

Man kennt den vor 150 Jahren geborenen manischen Vielschreiber heute noch vor allem wegen seines dystopischen Romans „Die Stadt ohne Juden“ (1922). Er brachte ihm Ruhm ein und Hass. Wien – entvölkert von Juden, das war eine satirische Antwort auf den Antisemitismus der Zeit und nahm eine spätere Entwicklung voraus. Die Folge: Bettauer zog sich den Hass vieler Judenfeinde zu. Er wurde zum Dauerskandalon der Stadt, erst recht, als er eine sexualaufklärerische Zeitschrift gründete, die damals tabuisierte Themen aufgriff. Keinen würden sie heute aufregen.

Eine deutschnationale publizistische Öffentlichkeit scheute nicht vor Mordaufrufen zurück und hetzte so lange, bis sich am 10. März 1925 ein Vollstrecker fand, ein Jungnazi namens Otto Rothstock traf mit seinen Schüssen Bettauer tödlich. Er bekannte sich offen zu seiner Tat, er habe einen „Hauptschuldigen an der Demoralisierung der deutschen Jugend“ beseitigen wollen. Der Prozess gegen ihn mit konfusen Ermittlungen und Verhören wurde zu einer Justizfarce von Schattendorf-Format. Es herrschte wenig Interesse an einer lückenlosen Aufklärung, stattdessen kam es im Gerichtssaal zu einer Täter-Opfer-Umkehrung.

„Entsittlichung und Verseuchung“

Der Historiker Valentin Fuchs, ein guter Kenner der 1920er-Jahre, hat nun die Ereignisse in seinem neuen Buch rekonstruiert und die Arbeit von Exekutive und Justiz beleuchtet. Sein Ziel war zudem, die politischen Entwicklungen aufzuzeigen, die zu dem Mord führten. Er liefert einen guten Einblick in die völkischen und konservativen Bewegungen der Zeit und ihren Kreuzzug gegen die „Entsittlichung und Verseuchung“, der zu einer Pogromstimmung gegen einen Autor wie Bettauer führte. Er wurde zur Projektionsfläche für wütende Antisemiten, nicht als einziger Künstler, wie Fuchs darlegt. „Herabwürdigung von Ehe und Familie“ oder „Gutheißung unsittlicher Handlungen“ war meist der Vorwurf. Staatsanwälte stießen sich schon an Worten wie „Strumpfband“, „Lackpumps“ oder „Nacktheit“.

Doch der Mehrwert des neuen Buchs über Bettauers „Hinrichtung“ liegt nicht in diesen geistesgeschichtlichen Hintergründen, sondern in der genauen Aufarbeitung der Prozessakten durch Valentin Fuchs. Otto Rothstock wurde als „jugendlicher Wirrkopf mit abwegigen Gedankengängen an der Grenze der Geisteskrankheit“ in die Nervenanstalt „Am Steinhof“ eingeliefert und nach zwei Jahren als geheilt freigelassen.

Gutachten und Akten zeigen nach Fuchs, dass er bei der Mordtat zurechnungsfähig war. Die Geschworenen wollten das aber nicht wahrnehmen. Fuchs hält eine Mehrtätertheorie für am wahrscheinlichsten. Dass Rothstocks Komplizen aus dem rechtsextremen Lager, die ihn nach der Tat im Stich ließen, beteiligt waren, ist naheliegend, lässt sich aber aufgrund der schlampigen Ermittlungsführung nicht nachweisen. Rothstock wurde Mitglied der NSDAP. Er starb im Jahr 1990.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2022)

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