Interview

Herr Bundespräsident, würden Sie eine Regierung entlassen?

Ein Selfie mit der Grazer Herrengasse: Alexander Van der Bellen tourt durch Österreich und will noch eine Amtszeit als Bundespräsident im Bilde sein.
Ein Selfie mit der Grazer Herrengasse: Alexander Van der Bellen tourt durch Österreich und will noch eine Amtszeit als Bundespräsident im Bilde sein.(c) J.J.Kucek
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Die Hauptverantwortung für die Regierung liege beim Kanzler, sagt Alexander Van der Bellen im „Presse"-Interview. Der Bundespräsident will Doppelstaatsbürgerschaften erleichtern, beim Ausländerwahlrecht legt er sich nicht fest.

Herr Bundespräsident, Sie plakatieren: „Weil's drauf ankommt.“ Aber auf was käme es Ihnen in einer zweiten Amtszeit an?

Alexander Van der Bellen: Ich glaube, dass ich das Amt des Bundespräsidenten besser ausüben kann als meine Konkurrenten. Und dass ich schon gezeigt habe, wie ich das Amt auch weiter auszuführen gedenke. Die Bundesverfassung lässt in bestimmten Situationen viel Spielraum zu. Und dieser Spielraum muss immer wieder sehr verantwortungsbewusst und mit großer Demut definiert werden. Die Verfassung ist jedenfalls keine Spielwiese.

Andere Kandidaten haben angekündigt, die Regierung entlassen zu wollen, Sie nicht. Aber wie wollen Sie der Regierung Beine machen, wenn Sie mit ihr unzufrieden sind?

Indem ich die Regierung zu Gesprächen vorlade, vor oder hinter der Tapetentüre. Ich kann auch öffentlich Stellung nehmen. Zu meinem Amtsverständnis gehört es, dass ich mir hundert Mal überlege, ob ich eine Regierung, die eine demokratische Mehrheit im Parlament hat, einfach so entlasse. Es ist nichts leichter, als Chaos zu erzeugen. Die Aufgabe des Bundespräsidenten ist es, für Stabilität zu sorgen.

Der Bundespräsident kann allein immer nur die gesamte Regierung entlassen, einzelne Minister nur auf Vorschlag des Kanzlers. Würden Sie sich wünschen, auch einzelne Minister allein entlassen zu können?

Die Hauptverantwortung für die Zusammensetzung der Regierung in fachlicher und persönlicher Art liegt beim Bundeskanzler. Er ist zwar nicht de iure ein primus inter pares, aber de facto ist er der Vorsitzende der Bundesregierung. Aber bei der Regierungsbildung liegt auch meine Kompetenz: Hier hat der Bundespräsident ein Vetorecht.

Bereuen Sie es, Karin Kneissl oder Herbert Kickl angelobt zu haben?

Nicht jeder Walzer war imagefördernd für Österreich. Und die Amtsführung von Kickl hat sich dann schon negativ entwickelt. Und entlassen habe ich ihn ja auf Vorschlag von Sebastian Kurz.


Aber gern?

Ohne zu zögern.


Corona-Maßnahmengegner haben Sie kritisiert, weil Sie nichts gegen einschlägige Verordnungen oder Gesetze getan hätten. Nun darf der Bundespräsident Verordnungen der Regierung gar nicht prüfen und auch bei Gesetzen die Unterschrift nur bei ganz offensichtlicher Verfassungswidrigkeit verweigern. Hätten Sie aber gern das Recht, den VfGH zu fragen, ob ein Gesetz verfassungswidrig ist, bevor Sie es unterschreiben?

Darüber kann man diskutieren. In Deutschland gibt es die Möglichkeit, dass das Verfassungsgericht im Eilverfahren sagt, dass ein Gesetz okay ist. Ich hätte eine gewisse Sympathie für dieses Modell. Aber nicht ein einziges Gesetz, das ich unterschrieben habe, wurde vom VfGH aufgehoben.

Alexander Van der Bellen im Gespräch mit „Presse“-Redakteur Philipp Aichinger.
Alexander Van der Bellen im Gespräch mit „Presse“-Redakteur Philipp Aichinger.(c) J.J.Kucek


Eine Diskussion gibt es auch darüber, dass das Wahlrecht auf Inländer beschränkt ist. Wären Sie dafür, dass auch in Österreich lebende Ausländer Sie wählen könnten?

Mich wundert in diesem Zusammenhang, dass wir so wenig Rücksicht nehmen auf die Auslandsösterreicher.


Die dürfen ja unbestritten mitwählen.

Ja, das tun sie auch, und zum überwiegenden Teil mich. Aber das sind Leute, die im Ausland integriert sind, aber die österreichische Staatsbürgerschaft verlieren würden, wenn sie die ausländische annehmen. Die Schweizer machen das anders. Wenn ein Schweizer ins Ausland geht, ist er eine gute Lobby für die Schweiz, und wenn er die andere Staatsbürgerschaft annimmt, bleibt er Schweizer.

Das ist aber ein anderes Thema. Soll es ein Ausländerwahlrecht in Österreich geben?

Ich kenne Fälle, in denen Deutsche zwanzig Jahre hier sind und nicht abstimmen dürfen. Ist das sinnvoll?


Also sind Sie für ein Ausländerwahlrecht?

Solche Fragen beantworte ich ungern mit ja oder nein.

Der Gesetzgeber muss diese Frage doch auch mit ja oder nein beantworten.

Wir sollten über die Erleichterung von Doppelstaatsbürgerschaften reden.


Ihr Mitbewerber Dominik Wlazny ist 35. Jüngeren bleibt das Bundespräsidentenamt laut Verfassung verwehrt. Wären Sie dafür, dass Jüngere auch kandidieren dürfen?

35 ist schon okay. Eine gewisse Lebens- und berufliche Erfahrung, gerade für dieses Amt, schadet auf keinen Fall.


Sie sind der Bundespräsident der Österreicherinnen und Österreicher, für diese gelten aber unterschiedliche Regeln. In der Schweiz ging eine Volksabstimmung mit Ja für eine Gleichstellung des Pensionsalters aus. In Österreich ist die Gleichstellung erst 2033 geplant, sind unterschiedliche Pensionsalter aktuell noch gerechtfertigt?

Am besten wäre, die Frauen könnten selbst entscheiden, ob die jetzige Regelung ein Vor- oder Nachteil ist. Das Argument von Frauenpolitikerinnen mit der immer noch ungleichen Verteilung der Familienarbeit verstehe ich. Der Nachteil ist, dass man weniger Pensionszeiten und weniger Pension hat.


Und wie finden wir diese Meinung heraus? Mit einer Volksbefragung nur für Frauen?

Das wäre tatsächlich eine interessante Überlegung, die aber aktuell rechtlich so nicht möglich ist.


Sie gehen in kein TV-Duell und haben das mit den Worten „Man kennt mich“ argumentiert. Das könnten andere Spitzenpolitiker doch auch behaupten.

Das Wort Duell ist entlarvend, finde ich. Ein Duell ist etwas, bei dem einer der zwei Duellanten, manchmal beide, tot auf dem Schlachtfeld liegen bleiben.


So brutal muss Politik ja auch nicht sein.

Das sagen Sie als Journalist. (lacht) Politik sollte jedenfalls nicht so aggressiv sein, auch in der Sprache nicht.


2016 haben Sie immerhin mehrere Wahlgänge mit TV-Duellen unversehrt überstanden. Und auch ausgeteilt, indem Sie etwa gegenüber dem Kontrahenten einen Scheibenwischer mit der Hand gezeigt haben.

Auch das muss als amtierender Präsident nicht wiederholt werden.


Aber was ist nun der Grund, warum Sie in kein TV-Duell gehen?

Ich verlasse mich darauf, dass Leute wie Sie, nämlich Journalisten, die anderen Kandidaten in jeder Hinsicht überprüfen. Ich bin seit fünfeinhalb Jahren Bundespräsident, welche Zusatzinformation könnten die Österreicherinnen und Österreicher in einer Siebener-Diskussion wohl gewinnen? Na bitte!


Würden Sie sich denn im Fall einer Stichwahl einer Zweier-Diskussion stellen?

Bei manchen Dingen kann man sich an den Engländern ein Beispiel nehmen. I'll cross this bridge when I come to it. Or I don't cross it. Man wird sehen.


Der Bundespräsident hat einen zweiten Amtssitz im Jagdschloss Mürzsteg. Ist dieser zweite Amtssitz noch sinnvoll?

Mürzsteg wird für repräsentative Zwecke und längere Gespräche, die Ruhe und Zeit brauchen, genutzt, z. B. bei einem Treffen aller Landeshauptleute, der Einladung von Staatsgästen oder für Regierungsklausuren. Aber abgesehen davon: Was soll man sonst mit diesem historisch interessanten, denkmalgeschützten Gebäude machen?


Der Bundespräsident hätte auch das Recht auf eine Amtswohnung. Sie nutzen das nicht, soll man das Recht darauf beseitigen?

Nein. Die Präsidenten, die ich international kenne, wohnen fast alle an einem Amtssitz und das hat, wenn man Staatsgäste hat, schon einen Sinn.


Sollte man so etwas für Sie schaffen?

Die Hofburg ist repräsentativ genug. Es fehlt halt manchmal ein bisschen das Informelle, Familiäre als Gastgeber.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2022)

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