Leitartikel

Viktor Orbán mag bluffen, den Weg zurück findet er nicht

Viktor Orbán
Viktor Orbán(c) IMAGO/Xinhua (IMAGO/Zheng Huansong)
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Ungarns Regierungschef drängt sein Land nach und nach aus der EU. Jetzt bekommt er erstmals eine Milliarden-Rechnung serviert.

Sie alle waren fasziniert, als Viktor Orbán im Sommer 1989 am sogenannten runden Tisch Platz nahm und seine erste Rede hielt. Der damals 26-Jährige trat für freie Medien, freie Wahlen und eine liberale Ordnung in seiner Heimat ein. Kurz darauf absolvierte er mithilfe eines Soros-Stipendiums eine universitäre Fortbildung in Oxford.

Heute, nach vielen Jahren an der Regierung, ist in seinem Land kaum noch eine Spur jener idealistischen Grundsätze vorhanden, für die er sich zur Zeit der Wende eingesetzt hatte. Keine freien Medien, kein funktionierender Rechtsstaat, und vor allem keine liberale Ordnung, in der das Nebeneinander unterschiedlicher Lebensmodelle noch Platz hätte.


Um sich an der Macht zu halten, bauten Viktor Orbán und seine Partei Fidesz den ungarischen Staat um. Orbán ließ kritische Medien schließen oder von Vertrauensleuten kaufen, schränkte die freie Wissenschaft ebenso ein wie die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und sorgte mit Eingriffen in die Justiz dafür, dass sein Umfeld von Korruptionsverfahren verschont blieb. Als sein Ideal definiert er heute die „illiberale Demokratie“, und er sympathisiert unverhohlen mit Wladimir Putin.

Viktor Orbán ist nicht etwa falsch abgebogen. Er hat mit Entschiedenheit einen Weg quer durch die Ideologien hinter sich, auf dem er heute wieder dort steht, wo er als Vorsitzender der Jugendorganisation der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei Mitte der 1980er-Jahre begonnen hatte. Dort, wo sich ganz rechte und ganz linke Extreme treffen: in einer autoritären Ordnung ohne Toleranz gegenüber Andersdenkenden.

Die Europa-Abgeordneten haben Orbáns System in dieser Woche abgesprochen, eine funktionierende Demokratie zu sein. Es sei eine „Wahlautokratie“. Die Resolution ist hart, aber unverbindlich. Verbindlich sind jedoch die Drohungen, die Budapest nun von der EU-Kommission erreichen und die dazu führen könnten, dass Ungarn rund 7,5 Milliarden Euro an EU-Fördergeldern gesperrt werden. Ein Geld, das der angeschlagene Staat, in dem es wirtschaftlich gar nicht mehr so gut aussieht, dringend benötigt.

Wahlen allein, bei denen dem eigenen Volk die Illusion einer Wiedergeburt des Großreichs Ungarn in Aussicht gestellt wird, die Verantwortung für Misswirtschaft anderen zugeschoben wird, sind kein ausreichender Beleg für eine demokratische Ordnung. Es braucht auch ein staatliches System, das Kritik und Kontrolle zulässt.

Vielleicht blufft Viktor Orbán ein weiteres Mal mit einem Einlenken, wenn Brüssel zu Strafmaßnahmen greift. Aber eine Anti-Korruptionsbehörde oder andere Einzelmaßnahmen werden nicht ausreichen, dieses wunderbare Land zurück zu einem demokratischen Rechtsstaat zu führen. Es bedarf eines Gesamtumbaus, einer Rückbesinnung auf liberale Grundsätze. Nach all dem, was Orbán in seinem Land und in den Beziehungen zu seinen europäischen Partnern angerichtet hat, ist es schwer vorstellbar, dass ihm das selbst gelingt. Um es bildlich auszusprechen: Seine Macht ist zu breit geworden, als dass er noch über den eigenen Schatten springen könnte.

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