Immobilien

China droht ein neuer Hypothekenboykott

Der Boykott verschärft die Gefahr eines dauerhaften Einbruchsam chinesischen Immobilienmarkt, der seit Mitte 2020 von einerKrise in die nächste schlittert.

Ziviler Ungehorsam ist in China selten, doch viele Immobilienkäufer sehen in ihm derzeit offenbar das letzte Mittel: Weil viele Chinesen sich für eine neue Wohnung hoch verschuldet haben, sich auf etlichen Baustellen aber nichts tut, könnten sie wie schon im Sommer die Zahlung ihrer Kredite boykottieren. Das kündigten etliche Käufer im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters an.

Zu ihnen gehört Wang Wending aus der zentral gelegenen Millionenstadt Zhengzhou. Er sagt, er habe Ende Juli die Erlaubnis erhalten, die Hypothekenzahlungen für seine Wohnung für sechs Monate auszusetzen. Nach Ablauf des Moratoriums müsse er jedoch die fälligen Raten auf einmal zahlen - unabhängig vom Stand der Bauarbeiten, die noch immer nicht begonnen hätten. "Was werden wir tun, wenn der Bau nach sechs Monaten immer noch nicht wieder aufgenommen wurde?", fragt er sich und schiebt die Antwort hinterher: "Dann stellen wir direkt alle Zahlungen ein." Hauskäufer in mindestens 100 Städten haben seit Ende Juni damit gedroht, ihre Hypothekenzahlungen einzustellen. Sie sehen keine andere Möglichkeit, nachdem ihre Bauträger aufgrund knapper Finanzmittel und strenger Corona-Auflagen den Bau gestoppt haben.

"We Need Home"

Obwohl die Zensur in den sozialen Medien kritische Nachrichten blockiert und Videos der Proteste gelöscht hat, hat sich der Boykott dennoch ausgeweitet. Eine viel beachtete Liste auf der Open-Source-Website GitHub mit dem Titel "We Need Home" zeigt, dass sich bis Ende vergangener Woche Käufer von 342 Bauprojekten in ganz China dem Boykott angeschlossen hatten. Ende Juli waren es Käufer von 319 Projekten. "Die Regierung konzentriert sich auf die soziale Stabilität und hat nicht daran gedacht, das Problem der unvollendeten Projekte zu lösen", klagt Qi Yu, ein Hauskäufer in der südöstlichen Stadt Nanchang. "Wir können nichts tun, wenn die Regierung uns nicht hilft." Qi hat seine Hypothek von einer Million Yuan (rund 143.000 Euro) seit Juli nicht mehr bedient.

Die Lokalregierungen von Zhengzhou und Nanchang reagierten nicht auf Bitten um Stellungnahme. Die Behörden in Zhengzhou, dem Zentrum der Proteste, haben eigentlich versprochen, bis 6. Oktober mit dem Bau aller blockierten Wohnungsbauprojekte zu beginnen. Das sagten mit der Angelegenheit vertraute Personen zu Reuters. Die Stadt werde Sonderkredite vergeben und die Bauträger auffordern, veruntreute Gelder zurückzugeben.

Der Hypothekenboykott verschärft die Gefahr eines dauerhaften Einbruchs am chinesischen Immobilienmarkt, der seit Mitte 2020 von einer Krise in die nächste schlittert. Ausgelöst hat das die Regierung. Sie hat ihre Kampagne gegen Spekulanten verschärft - auch aus Furcht vor einer Preisblase und einer Überschuldung der Baufirmen. Zudem hat die Krise um den angeschlagenen Immobilienriesen Evergrande viele potenzielle Hauskäufer verschreckt. Um gegenzusteuern, haben seit Jahresbeginn mehr als 80 Städte Maßnahmen ergriffen, um die Nachfrage anzukurbeln. Dazu gehören Subventionen, niedrigere Hypothekenzinsen und geringere Anzahlungen.

In Zhengzhou sagt die 30-jährige Ashley, die nur ihren Vornamen nennen will, dass die Bauarbeiten an ihrer Wohnung zwar im Frühjahr wieder aufgenommen wurden. Allerdings arbeite nur eine Handvoll Leute auf der Baustelle - und das auch nur, "um die Hausbesitzer zu besänftigen". Sie und andere Käufer der Siedlung seien gewarnt worden, nicht nach Peking zu reisen, um dort zu protestieren. "Ich habe diese Woche einen Anruf von der Polizei erhalten, die mich bat, nicht zu ihnen zu fahren, um bei höheren Behörden zu protestieren", sagt Ashley.

Rettungsfonds gegen den Vertrauensverlust

Etwa 2,3 Billionen Yuan an Krediten stehen auf dem Spiel, wenn alle unvollendeten Projekte in einem Hypothekenboykott enden, haben die Experten des Finanzhauses Natixis ausgerechnet. Die Führung in Peking hat inzwischen einen Rettungsfonds in Höhe von bis zu 44 Mrd. Euro und Sonderkredite über 29 Mrd. Euro für unvollendete Projekte eingerichtet. Mit diesen Maßnahmen soll verloren gegangenes Vertrauen wiederhergestellt werden, heißt es.

Laut Insidern bei Immobilienentwicklern und Banken könnte es allerdings einige Zeit dauern, bis diese Mittel etwas bewirken. "Es wird nicht für jeden Geld da sein", sagt ein leitender Angestellter eines Bauunternehmens in Shanghai. Ein Hauskäufer eines Projekts von Evergrande in Hefei klagt, dass er seine Wohnung eigentlich im Jahr 2020 erhalten sollte. Aber der Bau sei immer wieder ins Stocken geraten. Die Käufer dieses Projekts begannen 2021 zu protestieren und schlossen sich dann im Juni dem allgemeinen Boykott an, sagt der Käufer. Evergrande zufolge hat der Vorstandsvorsitzende Hui Ka Yan in einer internen Sitzung vergangene Woche versprochen, die Bauarbeiten bis Ende September wieder in Gang zu bringen. Von den 706 Projekten von Evergrande haben demnach 38 den Bau noch nicht wieder aufgenommen, während 62 erst jetzt wieder anlaufen.

"Wir werden keine Hypotheken mehr zurückzahlen, wenn wir keine nennenswerten Ergebnisse sehen", sagt einer der Betroffenen. Die Bauarbeiten seien Ende August mit nur etwa 20 Arbeitern und dann auch nur teilweise wieder aufgenommen worden. "Wir werden weiter protestieren - wir werden nach Peking gehen", kündigte er an.

(APA/Reuters)

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