Kulturerbe

Sie machte St. Pölten zur Theaterhauptstadt

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Marie Rötzer leitet seit 2016 das Landestheater Niederösterreich. Ihr Programm ist populär und fordernd zugleich. Und erstaunlich international.

Wenn in letzter Zeit etliche Wiener Theaterfreunde entdeckt haben, dass man mit der Eisenbahn gut und überraschend schnell nach St. Pölten kommt, dann ist das nicht zuletzt das Verdienst von Marie Rötzer. Sie leitet seit 2016 das dort ansässige Landestheater Niederösterreich, das in seinem Interieur verblüffend ans Wiener Volkstheater erinnert. Was gewiss nicht der wichtigste Grund dafür ist, dass etliche ehemalige Volkstheater-Besucher nun gern nach St. Pölten ins Theater gehen.

Eher schon, dass man dort z. B. einen so klugen wie unterhaltsamen Nestroy („Der Talisman“) zusammengebracht hat. Dass Sara Ostertag dort das Kunststück geschafft hat, den „Zauberberg“ so zu dramatisieren, dass sogar Thomas-Mann-Fans zufrieden sind. Oder dass Ruth Brauer-Kvam dort gezeigt hat, dass man Brechts Lehrstück-Schwank „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ heute noch spielen kann – nämlich mit einem eleganten feministischen Dreh, mit der Aufwertung der Eva.

Darauf ist Marie Rötzer zurecht stolz: „Ein großes Thema für mich ist das Frauenthema“, sagt sie, „das Feminine als Utopie“. Überhaupt will sie, dass ihr Theater zeigt, „dass die Welt veränderbar ist“, besonders wichtig seien ihr „Stücke, in denen es um Gleichheit geht“. Was in St. Pölten, wie die „Presse“-Rezensenten bestätigen können, nie in holzschnittartiges Polittheater mündet. „Theater soll sich einmischen“, sagt Rötzer, „es darf aber auch Flucht in eine Parallelwelt erlauben.“ Das beides in St. Pölten gelingt, liegt wohl auch daran, dass dort das Schauspielensemble im Mittelpunkt steht. Wichtig sei ihr „die Kunst der Darstellung, die Präsenz der Schauspielerin, des Schauspielers auf der Bühne“, sagt Rötzer. Und auch die Sprache: Sie sei, „was in der Musik der Ton ist – Resonanz der Körper“.

In der Gegend von Mistelbach geboren, hat Rötzer ihre Lehr- und Wanderjahre in Berlin und Graz, Mainz und Hamburg verbracht. Ihr Blick geht entsprechend – bei allem Augenmerk auf spezifisch Österreichisches von Nestroy bis Jelinek – über die Grenzen des Landes hinaus. Was sie am Theater suche, sei auch „die große Welt“., sagt sie. Die Internationalität, die andere Intendanten wortreich erklären, hat sie gezeigt, etwa mit viel beachteten Inszenierungen von Luk Perceval und Frank Castorf. Den „Liliom“ hat sie gemeinsam mit den Vereinigten Bühnen Bozen herausgebracht, das Hamburger Thalia-Theater war mit Molières „Geizigem“ zu Gast.

Dramaturgie ist für Marie Rötzer, die selbst lange Dramaturgin war, sehr wichtig: „Eine Stärke des Theaters ist es, Geschichten zu erzählen, das kann es freilich auch mit unorthodoxen Mitteln.“ Auf den derzeit (noch) oft erschallenden Ruf nach einem postdramatischen Theater antwortet sie cool: Postdramatische Elemente habe es schon immer gegeben, etwa bei Nestroy oder Brecht. So sehr sie den aktuellen Theaterdiskurs schätze, habe sie keine Lust, nur ein Nischenpublikum zu bedienen. Ihre bisherige Zeit in St. Pölten habe sie aber in ihrer Überzeugung bestätigt: „Man muss das Publikum mitnehmen, man kann es aber auch fordern.“

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