Irland: Abtreibungsverbot verstößt gegen Menschenrechte

Abtreibungsverbot verstoesst gegen Menschenrechte
Abtreibungsverbot verstoesst gegen Menschenrechte(c) APA (BARBARA GINDL)
  • Drucken

Ein Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg erzwingt Änderungen der Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch. Von 1980 bis Ende 2009 fuhren 142.060 Frauen für Abtreibungen nach England und Wales.

Dublin/London. Irland muss seine anachronistischen Gesetze zum Abbruch von Schwangerschaften zumindest teilweise überarbeiten: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat gestern, Donnerstag, das fast totale Abtreibungsverbot im Inselstaat als Verstoß gegen Frauenrechte bezeichnet.

Das Gericht gab damit einer Irin Recht, die gegen ihre Regierung ob des Fehlens gesetzlicher Regeln zur legalen Durchführung einer Abtreibung geklagt hatte. In zwei Fällen wies das Gericht ähnliche Klagen gegen Irland jedoch ab.

In dem überwiegend konservativen und von der katholischen Kirche dominierten Irland ist das Thema Abtreibung heftig umstritten. Bis heute ist ein Paragraf von 1861 in Kraft, der für Schwangerschaftsabbruch eine lebenslängliche Haft vorsieht. In einer Volksabstimmung im Jahr 1983 wurde der Schutz des ungeborenen Lebens in den Verfassungsrang gehoben. Die Diskussion um die Abtreibung kam damit aber nicht zur Ruhe.

Flucht nach England und Wales

Einerseits hat sich in den vergangenen Jahren in Irland die Sexualmoral gelockert. Andererseits führte ein spektakulärer Fall den Iren 1992 die Komplexität des Themas vor Augen: Eine 14-Jährige, die nach der Vergewaltigung durch einen Nachbar schwanger geworden war, wurde von einem Gericht an einer Reise nach England gehindert. Dort hätte sie – mit Zustimmung der Eltern – abtreiben wollen. Als „Fall X“ ging der Prozess bis zum Höchstgericht, und schließlich beschlossen die Iren in einer weiteren Volksabstimmung, den Schwangerschaftsabbruch bei eventueller Lebensgefahr für die Mutter zu erlauben.

Der Gesetzgeber blieb bis heute aber säumig, die nötigen Durchführungsbestimmungen zu erlassen. Was dafür allgemeine Praxis wurde, war die Auslagerung des Problems nach Muster des „Fall X“: Laut der „Irish Family Planning Association“, die die drei Klägerinnen in Straßburg unterstützte, fuhren von 1980 bis Ende 2009 genau 142.060 Frauen für Abtreibungen nach England und Wales. Zwölf Irinnen pro Tag waren es 2009. 68Prozent von ihnen ließen den Abbruch in den ersten neun Wochen der Schwangerschaft vornehmen – in Österreich ist ein Schwangerschaftsabbruch bis zum Ende der zwölften Woche legal.

Daneben versuchen viele Frauen, im „Selbstversuch“ Abtreibungen vorzunehmen. Allein im Vorjahr beschlagnahmte die irische Post mehr als 1200 Paketsendungen aus dem Ausland mit verbotenen Abtreibungsmitteln. Vor einigen Jahren sorgte ein niederländisches Schiff, das in internationalen Gewässern vor der Insel kreuzte, für Schlagzeilen: An Bord der „Aurora“ konnten Irinnen Abtreibungen durchführen lassen – straffrei, weil auf hoher See.

Die drei Klägerinnen, deren Fall vom EGMR behandelt wurde, warfen Irland die Verletzung des Rechts auf Privatsphäre und des Schutzes des Familienlebens vor. Alle hatten Abtreibungen auf der anderen Seite der Irischen See vornehmen lassen, doch nur in einem Fall gab das Gericht der Klage statt: Frau C. hatte Krebs gehabt und fürchtete, durch die Schwangerschaft die Rückkehr der Krankheit. Irische Ärzte teilten die Befürchtung, wollten die Abtreibung aber nicht vornehmen: „Allein die vorherrschenden Unsicherheiten in Bezug auf ein Gesetz von 1861 sind ein schwerwiegend abschreckender Faktor für Frauen und Ärzte“, schreibt der EGMR im Urteil.

Zwei weitere Klagen abgewiesen

Die anderen Frauen (A. und B.) konnten keine gesundheitlichen Probleme anführen und begründeten ihren Wunsch nach Abtreibung mit familiär-persönlichen Motiven. Dazu stellten die Straßburger Richter fest, dass das Grundrecht auf Familien- und Privatleben in der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht auch ein Recht auf Abtreibung beinhalte.

Die 15.000Euro Strafe, zu denen Irland verurteilt worden ist, wird die Regierung wohl aufbringen können. Eine neue Gesetzesgrundlage zu erarbeiten, nun wegen des EGMR-Urteils bindend, wird schwieriger. Bisher hat die Regierung argumentiert, das Abtreibungsverbot basiere auf „moralischen Werten, die tief in der irischen Gesellschaft verankert sind“.

Der Chef der „Irish Family Planning Association“, Niall Behan, sagte gestern aber: „Die Regierung hat gar keine andere Wahl als zu handeln. Die Bedeutung dieses Urteils kann man gar nicht überschätzen.“

Auf einen Blick

Irland hat eines der strengsten Abtreibungsgesetze Europas. Der Schwangerschaftsabbruch gilt grundsätzlich als illegal und darf nur unter bestimmten engen Voraussetzungen in Irland durchgeführt werden: Ist das Leben der Mutter bedroht und kann dies durch ein ärztliches Attest belegt werden, können irische Frauen die Schwangerschaft abbrechen.

Im Vorjahr ließen 638 irische Frauen laut dieser Ausnahmeregelung eine Abtreibung legal durchführen. 2009 reisten aber auch 4422 nach Großbritannien, um die Abtreibung dort durchführen zu lassen (Vergleich: 2001 taten das 6673 Irinnen). Die meisten trieben zwischen der dritten und neunten Schwangerschaftswoche ab und waren zwischen 20 und 29 Jahren alt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.