Analyse: "Sieg der Pressefreiheit" - oder Ablenkungsmanöver

Der OGH hat in der Causa „Am Schauplatz“ entschieden: Der ORF hat recht, das Redaktionsgeheimnis ist geschützt. Aber ging es wirklich darum?

Das Urteil kam rasch. Nur fünf Monate, nachdem die erste Instanz in der Causa „Am Schauplatz“ ein Urteil gefällt hat, sprach am Donnerstag der Oberste Gerichtshof sein finales Urteil. Senatsvorsitzender Eckhart Ratz stellte fest: Der ORF wurde durch den Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Wien, er müsse die Bänder der „Am Schauplatz“-Sendung herausgeben, in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art. 10 EMRK) verletzt.

Dass der Beschluss schon formal rechtswidrig war, spielte Ratz herunter; „Es sieht natürlich furchtbar aus, dass ein Mitglied des OLG-Senats die Schwester einer mit dem Fall befassten Staatsanwältin ist, aber das ist fast gar nichts.“ Ein Formalfehler, eine Lappalie also. Erstaunlich, dass diese Lappalie den Fall vor den OGH brachte und dieser nun nicht nur formal, sondern inhaltlich entschieden hat: Der ORF muss die Bänder nicht herausgeben, das Redaktionsgeheimnis ist absolut.

Einen „Sieg der Pressefreiheit“ nannte ORF-Anwalt Gottfried Korn das Urteil und scherzte: „Die Presse darf mir ein Denkmal setzen.“ Nicht nur Korn, auch der ORF selbst fühlte sich bislang von den Printmedien schlecht behandelt. Die hätten vieles verdreht, sich von Anfang an mehr auf den Verdacht gestürzt, bei der „Am Schauplatz“-Folge seien die journalistische Sorgfalt zu kurz gekommen und die zwei Skinheads zum Verstoß gegen das Verbotsgesetz angestiftet worden. Der Aspekt der Verletzung des Redaktionsgeheimnisses war nach Ansicht des ORF zu kurz gekommen – obwohl es ja auch für die Printmedien wichtig sei.

Denkt man den Verdacht aber weiter, taucht ein neuer auf: Hat der ORF die Herausgabe der Bänder etwa nicht wegen des Redaktionsgeheimnisses verweigert, sondern um von unsauberen Recherchemethoden abzulenken? Dass sich der zuständige ORF-Redakteur, Ed Moschitz, seit neun Monaten nicht zu den Vorwürfen äußern darf, weil ihm sein Arbeitgeber einen Maulkorb umhängt, trägt nicht unbedingt zur Aufklärung bei.

Die Staatsanwaltschaft Wr.Neustadt ermittelt weiter gegen ihn wegen Wiederbetätigung – weshalb sich der nicht so recht über das OGH-Urteil freuen konnte. Der zuständige Staatsanwalt, Johann Fuchs, erklärte, er werde als Nächstes die Verdächtigen befragen: den Redakteur und die zwei Skinheads. Letztere waren am Donnerstag zur Verhandlung erschienen und fielen nicht nur durch ihre 20-minütige Verspätung auf. Schon ein kurzes Gespräch mit ihnen zeigte, dass diese Herren nicht erst dazu angestiftet werden müssen, FPÖ-Veranstaltungen zu besuchen. Ihre eindeutige politische und antisemitische Haltung verbargen sie nicht einmal in der Aula des Justizpalasts.

E-Mail: anna-maria.wallner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2010)

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