Reform

Österreichs Geheimdienst fehlt die Kontrolle

 Omar Haijawi-Pirchner ist seit Dezember 2021 Direktor der neuen Behörde.
Omar Haijawi-Pirchner ist seit Dezember 2021 Direktor der neuen Behörde.GEORG HOCHMUTH / APA / picturede
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Eine unabhängige Kommission sollte die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst kontrollieren. Wegen Polit-Personalwünschen kommt sie seit einem Jahr nicht zustande.

Die Metamorphose vom Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) zur Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) war von einem politischen Wunschkonzert begleitet. Neben den üblichen parlamentarischen Kontrollrechten soll eine „Unabhängige Kontrollkommission“ die Arbeit des Amtes prüfen. Offiziell soll diese mit Experten beschickt werden. Inoffiziell haben die Parteien sehr genaue Personalvorstellungen. Und weil man sich nicht einigen kann, existiert die vorher so dringend gewünschte Kommission auch nach einem Jahr noch immer nicht.


Im Februar 2018 fand im BVT eine Razzia statt, die für das Amt weitreichende Konsequenzen hatte: Ein Exodus an Mitarbeitern setzte ein. Weil die Justiz auch sensible Daten von befreundeten Diensten beschlagnahmte, war das internationale Vertrauen weg. Von den Vorwürfen ist nichts übrig geblieben, die beschuldigten Beamten wurden rechtskräftig freigesprochen. Sie kämpfen heute mit Zigtausenden Euro Schulden für Rechtsanwaltskosten – der Staat refundiert diese Aufwendungen auch nach Freispruch nicht. Und auch das Amt war nicht mehr handlungsfähig und musste schließlich mit einer großen Reform völlig neu aufgestellt werden.

Die Reform

Der polizeiliche und der nachrichtendienstliche Teil wurden voneinander getrennt. Über beidem steht nun Direktor Omar Haijawi-Pirchner, der im Dezember vergangenen Jahres mit der Aufgabe betraut wurde. Er versucht das Amt seitdem wieder aufzurichten. Eine schwierige Aufgabe: Es mangelt an qualifiziertem Personal – manche Bereiche sind chronisch unterbesetzt. Fatal für eine der wichtigsten Sicherheitseinrichtungen des Staates. International ist die Zusammenarbeit wieder besser, aber Misstrauen ist noch immer vorhanden. Eine Neuerung war auch der Beschluss einer Kontrollkommission. Dieses weisungsfreie Dreiergremium sollte sicherstellen, dass die Verfassungsschutzbehörde ihre gesetzmäßigen Aufgaben erfüllt. Sie sollte von sich aus tätig werden können, auf Bitten des Innenministers oder des Ständigen Unterausschusses.

Die Kandidaten

Als heiße Kandidatin für die Leitung der Kommission gilt seit Monaten Ingeborg Zerbes. Sie ist stellvertretende Chefin des Instituts für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Wien und untersuchte die Arbeit der Behörden rund um den Terroranschlag am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt. Sie betonte damals stets, dass sie ihre Kontrollarbeit frei von politischem Einfluss machen konnte.

Nun wünscht sich die Politik, dass sie wieder eine Kontrollfunktion für den Staat übernimmt. Das mit dem „politischen Einfluss“ sieht man dieses Mal aber anders. Dem Vernehmen nach möchte sich Zerbes selbst aussuchen können, wer noch mit ihr in dieser Kommission sitzt. Das sehen SPÖ und ÖVP anders. Die ÖVP möchte mitbestimmen. Und die SPÖ spricht im Hintergrund von Oppositionsrechten, die es zu wahren gilt. Und so haben beide Parteien auch Wunschkandidaten. Der heißeste Anwärter der ÖVP ist dem Vernehmen nach Theo Thanner – der langjährige Chef der Bundeswettbewerbsbehörde und ehemaliger Kabinettschef von Ernst Strasser. ÖVP-Innenminister Gerhard Karner, dem die DSN untersteht, war damals Pressesprecher. Der 61-jährige Jurist stand dem Amt seit 2007 vor. Er zog sich 2021 zurück, nachdem er sich eine öffentliche Debatte um die Unabhängigkeit der Behörde mit Ex-Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) geliefert hatte.

Die SPÖ will einen Datenschützer in der Kommission sehen und hat Christof Tschohl vorgeschlagen. Der Vorarlberger Jurist und Nachrichtentechniker ist wissenschaftlicher Leiter und Gesellschafter des Research Institut − Digital Human Rights Center in der Wiener Innenstadt. Er ist außerdem Mitglied der Fachgruppe Grundrechte in der österreichischen Richtervereinigung sowie Präsident des Österreichischen Schachbunds (ÖSB).

Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper sagt zu dem Hick-Hack: „Die Kontrollkommission ist ein ganz wesentliches Element der Reform unseres Verfassungsschutzes. Ohne die gesetzlich vorgeschriebene Kontrolle wird sich das Vertrauen in den Verfassungsschutz nicht wieder herstellen lassen.
Es ist höchst verantwortungslos, dass die alten Parteien - allen voran die ÖVP, die ja bereits das kolossale Scheitern des alten BVT zu verantworten hat - jetzt wieder ihre eigenen parteipolitischen Interessen vor die Interessen des Landes stellen. Wohin Postenkorruption führt, konnte jeder beim alten Verfassungsschutz sehen, das darf sich bei der Neuaufstellung nicht wiederholen.“

Weil man sich nicht einigen konnte, wurde das Thema jetzt auf Klubobleute-Ebene gehoben. Ein Ende der Verhandlungen ist aber auch hier nicht in Sicht.

Der Verfassungsschutz

Die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst nahm nach entsprechenden parlamentarischen Beschlüssen ihre Arbeit am 1. Dezember 2021 auf. Die Vorgängerorganisation, das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, existierte seit 2002 und war damals aus der Staatspolizei sowie einigen Sondereinheiten zusammengewürfelt worden. Nach der Razzia im Februar 2018 war der Ruf der Behörde zerstört.

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