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Gefährliche Eskalation im Ukraine-Krieg: Putin kündigt Teilmobilmachung an

Eine Russin lauscht den Worten ihres Präsidenten.
Eine Russin lauscht den Worten ihres Präsidenten.(c) Imago
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Die Teilmobilmachung beginne noch heute, sie betrifft vorerst Reservisten. Putin wirft dem Westen „nukleare Erpressung“ vor. Großbritannien warnt: „Putins Drohungen müssen ernst genommen werden."

Dem Ukraine-Krieg droht die nächste, gefährliche Eskalation: Nachdem Moskau durch die ukrainische Offensive stark in Bedrängnis geraten war, hat nun der russische Präsident Wladimir Putin eine Teilmobilisierung der Streitkräfte angekündigt. Das sagte er in einer Mittwochfrüh im Staatsfernsehen übertragenen Ansprache.

Er sei einem Vorschlag des Verteidigungsministeriums gefolgt und habe ein entsprechendes Dekret unterschrieben, die Maßnahmen sollen noch am heutigen Mittwoch beginnen. Die Teilmobilisierung betrifft nur Reservisten - zunächst. Sie soll schon heute beginnen: Laut Verteidigungsminister Sergej Schoigu werden 300.000 Menschen für das Militär teilmobilisiert. >> Warum Russland Reservisten an die Front schickt

Der Präsident rechtfertigt seine Entscheidung wieder einmal mit Anspielungen auf die Geschichte, unter anderem dem Zweiten Weltkrieg: „In unserer historischen Tradition, im Schicksal unserer Volkes liegt es, diejenigen zu stoppen, die nach der Weltherrschaft streben, die unserem Mutterland, unserer Heimat mit Zerstückelung und Unterdrückung drohen“, so Putin wörtlich.

"Die Entscheidung ist komplett adäquat zu den Bedrohungen, die sich uns stellen", sagte der Präsident in der TV-Ansprache, die seit Stunden erwartet worden war. Der Ukraine warf er vor, in kürzlich von russischer Besatzung befreiten Gebieten "Gräueltaten" zu verüben.

„Menschen den Henkern zu überlassen“

Man werde dies nicht dulden und die Bevölkerung in den besetzten Gebieten Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson "vor dem Naziregime in Kiew beschützen“. Erst am Dienstag hatte die russische Regierung angekündigt,  in den besetzten Gebieten eiligst einberufene Referenden zur Annexion Russlands durchführen lassen zu wollen, die bereits am Freitag beginnen und bis zum 27. September durchgeführt werden sollen. "Wir haben kein Recht, uns nahe Menschen den Henkern zu überlassen", polterte Putin.

Groß ist jetzt freilich die Angst, dass Putin mit seiner Drohung, taktische Atomwaffen im Ukraine-Krieg einzusetzen, ernst macht: Die russische Militärdoktrin sieht den Einsatz von Atomwaffen bei einem konventionellen Angriff auf das eigene Territorium vor. Damit Druck auf die Ukraine ausgeübt werden kann, ihre von Russland annektierten Gebiete nicht anzugreifen.

Putin warf denn auch dem Westen vor, Russland atomar zu erpressen. Russland habe „viele Waffen, um darauf zu antworten“, sagt Putin. Er bluffe nicht. Unklar ist, was Putin sagen will. Die NATO hat nie mit einem Einsatz von Atomwaffen gedroht.

„Krieg läuft nicht nach Plan“ 

Die ukrainische Regierung hat bereits am Dienstag angekündigt, die Scheinreferenden zu ignorieren. Zahlreiche Staaten kündigten ebenfalls an, das Ergebnis nicht anzuerkennen. Dies betonte bei der UN-Vollversammlung in New York unter anderem auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Für die Ukraine weist Putins Teilmobilmachung vor allem auf das eine hin: Es zeige, dass der Krieg für Russland nicht nach Plan verlaufe. Der Schritt sei zu erwarten gewesen, sagt der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak.

Die anderen Äußerungen des russischen Präsidenten seien rhetorisch, sagt Podoljak der Nachrichtenagentur Reuters. Ziel sei es, den Westen für den Krieg und die sich verschlechternde Wirtschaftslage in Russland verantwortlich zu machen.

Großbritannien: „Beunruhigende Eskalation“

Der Kreml will nach Ansicht britischer Militärexperten mit den geplanten Scheinreferenden in besetzten ukrainischen Gebieten einem Gegenangriff durch Kiew zuvorkommen. Das geht aus dem täglichen Geheimdienst-Update zum Ukraine-Krieg des Verteidigungsministeriums in London hervor.

„Diese Eile ist wohl getrieben von Befürchtungen eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs und der Erwartung größerer Sicherheit nach einer formalen Eingliederung in Russland“, heißt es in der Mitteilung.

Die Rede Putins stellt Großbritannien zufolge eine beunruhigende Eskalation dar. Die Drohungen müssten ernst genommen werden, sagt die Staatssekretärin im britischen Außenministerium, Gillian Keegan, bei Sky News.

Neue Angriffe auf Atomkraftwerk

Der ukrainische Betreiber des Atomkraftwerks Saporischschja hat Russland beschuldigt, erneut das Gelände des Kernkraftwerks in der Südukraine angegriffen zu haben. "Russische Terroristen haben in der Nacht erneut das Atomkraftwerk Saporischschja bombardiert", teilte Enerhoatom am Mittwoch auf Telegram mit. Das AKW Saporischschja im Süden der Ukraine ist das größte in Europa und seit März von russischen Truppen besetzt.

Das Kraftwerksgelände wurde in den vergangenen Wochen immer wieder beschossen, was die Angst vor einer Atomkatastrophe schürte. Russland und die Ukraine hatten sich gegenseitig für die Angriffe verantwortlich gemacht. Kämpfe in der Umgebung sorgten immer wieder für Stromausfälle.

Anfang September war ein Expertenteam der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) unter Leitung ihres Generaldirektors Rafael Grossi zu dem AKW gereist und hatte dort Untersuchungen vorgenommen. Mitglieder des Teams blieben seitdem dauerhaft auf dem Kraftwerksgelände, um die Situation zu überwachen.

(APA/ Reuters/ Red)

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