Leitartikel

Das Bundesheer mit Milliarden zu füttern ist noch keine Reform

Immer noch ist unklar, was das Bundesheer in Zukunft eigentlich können soll. Und wozu es weiter Rekruten ausbildet, wenn es diese nicht einsetzen kann.

Die Eskalation im Ukraine-Krieg rückt auch ein innenpolitisches Thema wieder in den Vordergrund: Was wurde eigentlich aus den Bestrebungen, das Bundesheer neu aufzustellen? Wir erinnern uns: Im Frühjahr, nach dem Angriff Russlands auf das Nachbarland Ukraine, war bei allen politischen Parteien die Erkenntnis gereift, dass Österreich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten die militärische Landesverteidigung sträflich vernachlässigt hatte. Plötzlich gab es auch die Bereitschaft, die notwendigen Budgetmittel dafür zur Verfügung zu stellen. Von einem, eineinhalb oder gar zwei Prozent des BIPs (statt bisher 0,6 Prozent) war da die Rede.

Was seither passiert ist? Eigentlich nicht viel. Mehr Geld für das Heer dürfte es im nächsten Budget tatsächlich geben, ist aus dem Umfeld des Verteidigungsministeriums zu hören, es soll in Richtung ein Prozent gehen. Sonst ist die kurz aufgeflammte Diskussion um die Landesverteidigung aber sanft entschlafen.

Gerade eine Debatte wäre jetzt aber notwendig, und es wäre höchst an der Zeit, angesichts des veränderten Umfelds auch Tabuthemen aufzugreifen. Das erste und wichtigste Thema ist die Frage nach dem sicherheitspolitischen Konzept: Ist die Neutralität tatsächlich die sinnvollste Lösung, oder wäre ein Nato-Beitritt nicht eine bessere Variante? Immerhin haben Schweden und Finnland diesen Weg eingeschlagen. Das zumindest breit zu diskutieren wäre sinnvoll. Einige zaghafte Versuche aus der ÖVP hat es gegeben – das wurde von Parteichef Karl Nehammer aber rasch gestoppt. Auch die anderen Parteien wollen an diesem Thema nicht rütteln, niemand wagt es, den breiten Konsens in der Bevölkerung für die Neutralität infrage zu stellen.

Die Zukunft des Heeres

Zweitens wäre eine Diskussion darüber notwendig, wie das Bundesheer in Zukunft eigentlich aufgestellt sein soll. Und da gibt es gleich das nächste Tabuthema: Der Grundwehrdienst ist im Moment in einer völlig absurden Form konzipiert. Das Bundesheer wendet einen wesentlichen Teil seiner Kapazitäten dafür auf, jährlich an die 18.000 Grundwehrdiener auszubilden, ohne einen erkennbaren Nutzen daraus zu erzielen. Die Ausbildung von Rekruten ist nämlich nur dann sinnvoll, wenn diese später auch als Milizsoldaten eingesetzt werden können – was aber nur möglich ist, wenn die Miliz regelmäßig übt. In Österreich sind die verpflichtenden Milizübungen aber abgeschafft, und die Zahl jener, die sich freiwillig dafür melden, ist mehr als überschaubar. Die Grundsatzfrage wäre daher: Wollen wir ein Milizheer – dann muss es wieder verpflichtende Übungen geben. Oder wollen wir das nicht, dann können wir uns den Grundwehrdienst sparen und auf ein Berufsheer, ergänzt um eine freiwillige Miliz, umsteigen. Der derzeitige Zustand ist eine Vergeudung von Ressourcen – jener des Bundesheers wie auch jener der jungen Männer, die zum Dienst verpflichtet werden.

Die dritte Frage lautet schließlich: Was soll das Heer eigentlich können? In den vergangenen Jahren wurde die Kernkompetenz des Bundesheers eher im nicht militärischen Bereich angesiedelt: Katastrophenschutz, Assistenzeinsatz an der Grenze, Botschaftsbewachung, Hilfsdienste in der Coronapandemie gehörten zu den Aufgaben der Soldaten. Inzwischen ist die militärische Landesverteidigung als Kernkompetenz wieder in den Mittelpunkt gerückt – aber auch da stellt sich die Frage, was genau das Bundesheer in welchem Ausmaß können soll. Den Luftraum ernsthaft sichern (auch in der Nacht)? Auf konventionelle Konflikte mit schweren Waffen vorbereitet sein? Cyberkriege führen können?

Von der Beantwortung all dieser Fragen hängt es ab, welches Budget für die Landesverteidigung tatsächlich notwendig ist und wie es eingesetzt wird. Nun gibt es dazu natürlich genügend Überlegungen und Konzepte im Bundesheer selbst. Aber eigentlich handelt es sich um politische Fragen, die auch politisch entschieden werden müssen. Und diese Debatte sollte jetzt schleunigst geführt werden – und zwar bevor die Budgets aufgestockt und große Investitionspakete um etliche Milliarden Euro geschnürt werden.

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