Comfort Food

Kann Essen tröstlich sein?

Essen mit Gefühl oder Essen, um sich besser zu fühlen: Comfort Food kann vieles bedeuten. Fünf Köche und eine Ernährungspsychologin legen den Begriff für sich aus.

Bestenfalls kann man es löffeln. Zumindest macht das ein Wohlfühlgericht für Lukas Anton Stein aus, einer Hälfte des Koch-Duos Tingeling. Mit seiner Freundin Viola Aimée Waldeck stellt er Sichuan-Chili-Öl her und verkauft es, in Kooperation mit diversen Restaurants organisiert das Paar immer wieder einmal Food-Pop-ups. So etwa im Sous-bois Café in Wien Neubau, im Pho Cho Lon, dem Restaurant von Steins Vater im ersten Bezirk, oder erst kürzlich im Meinklang Hofladen in Wien Margareten. Bald soll es ins Ausland gehen, nach Paris. Gekocht wird meist ausgefallen: Etwa füllt das Paar die türkische Blätterteigtasche Börek mit Mapu-Tofu oder es bäckt „Phocaccia“ — alles, was normalerweise in einen Pho-Suppentopf kommt, hat man hier in eine Focaccia gepackt.

 Viola Aimée Waldeck und Lukas Anton Stein sind beides, kreative Köpfe und werkelnde Hände hinter dem Koch-Duo „Tingeling“.  Was mit einer Menge Sichuan-Chili-Öl begann, hat sich nun auch als Pop-up-Küche bewährt. Am Food-Festival „Pop Chop“ hostet das Duo eine Dinnerparty samt mehrgängigem Menü. 8. und 9.   10., Hotel am Brillantengrund.
Viola Aimée Waldeck und Lukas Anton Stein sind beides, kreative Köpfe und werkelnde Hände hinter dem Koch-Duo „Tingeling“. Was mit einer Menge Sichuan-Chili-Öl begann, hat sich nun auch als Pop-up-Küche bewährt. Am Food-Festival „Pop Chop“ hostet das Duo eine Dinnerparty samt mehrgängigem Menü. 8. und 9.   10., Hotel am Brillantengrund.Christine Pichler

Comfort Food ist für die beiden aber etwas anderes: „Wenn ich dafür in zehn Supermärkte oder Spezialitätenläden laufen muss, dann ist das kein Comfort, sondern Aufwand-Food“, so Stein. Einfache Zutaten machen die Gerichte aus. Auch soll es warm sein, einen „aufwärmen und in den Arm nehmen“. Safran-Risotto sei da genau das Richtige, „eine Umarmung in Form eines Essens“, wie Stein es beschreibt. Waldeck nickt, ihre zweite gemeinsame Wahl wäre Hühnersuppe gewesen, erzählt sie. „Es ist nicht ganz einfach gewesen, sich auf ein Gericht zu einigen“, geben beide lachend zu. Die Comfort-Gerichte ihrer Kindheit mussten die zwei außen vor lassen: Toast Hawaii hätte Waldeck gemacht, Stein Schinkenfleckerl mit Erbsen. „Es kamen sehr viele Ideen, dann haben wir genauer überlegt, was Comfort Food für uns bedeutet“, sagt Waldeck. Sie habe zuerst an Instant-Nudeln gedacht, auch deshalb, weil es besonders schnell geht. „Lukas hat dann aber gesagt, es muss etwas sein, wonach man sich richtig gut fühlt. Und das stimmt“, sagt Waldeck. „Zu trashig darf Comfort Food gar nicht sein.“

Risotto Milanese schaut aus und schmeckt wie Sonne, findet Viola M. Waldeck von Tingeling.
Risotto Milanese schaut aus und schmeckt wie Sonne, findet Viola M. Waldeck von Tingeling. Christine Pichler

Der Begriff an sich ist schwammig. Für viele gehört gerade dieser „Trash“-Faktor zur richtigen Komfort­küche. Pommes, randvolle Eisbecher und Burger kommen einem da in den Sinn, „Guilty Pleasures“, um einen weiteren Anglizismus zu bemühen. Denn definitiv wird Comfort Food mit Emotionen verbunden, die von Freude, Nostalgie bis hin zu Schuldgefühlen reichen können.

„Es geht um die Bewertung des Lebensmittels, nicht um seine physiologischen oder chemischen Eigenschaften. Auch Brokkoli kann zum persönlichen Comfort Food werden“, sagt Ernährungspsychologin Cornelia Fiechtl. Da reicht ein schöner Tag, eine Eistüte und die nächste Parkbank, um eine positive Erinnerung zu schaffen und die beiden Reize (sonnige Parkbank und Eis) miteinander zu verknüpfen. Je intensiver und repetitiver das Erlebnis allerdings war, desto stärker die Verbindung. Deshalb gehen viele Komfortgerichte auf Kindheitserinnerungen zurück. Hat man es als Kind genossen, jeden Herbst mit dem lieb gewonnenen Großvater Strudelteig zu ziehen, dann liefert das Gericht auch heute noch positive Assoziationen und der Körper schüttet beim Essen das Glückshormon Dopamin aus.

Des Schusters Leisten

Um ein Eck weniger technisch beschreibt Dario Formisano seine Beziehung zu Pasta allo scarpariello. In seiner Kindheit hat er die Sommer mit seinem Bruder Luca — mit dem er auch die Monte Ofelio Aperitivo-Bar am Augartenspitz führt — bei seinen Eltern in Kampanien verbracht.

Dario Formisano führt mit seinem Bruder Luca die zwei Standorte der Aperitivo-Bar Monte Ofelio. Den Begriff Comfort Food verbindet er mit der traditionsreichen italienischen Hausmannskost, aber in erster Linie seinem Familienumfeld und seiner Kindheit in Kampanien. In seinen Betrieben serviere er ausschließlich Comfort Food.
Dario Formisano führt mit seinem Bruder Luca die zwei Standorte der Aperitivo-Bar Monte Ofelio. Den Begriff Comfort Food verbindet er mit der traditionsreichen italienischen Hausmannskost, aber in erster Linie seinem Familienumfeld und seiner Kindheit in Kampanien. In seinen Betrieben serviere er ausschließlich Comfort Food.Christine Pichler

Kam die Familie nach einem Tag am Meer nach Hause, musste es schnell gehen. Der Hunger war groß, die Geschäfte waren geschlossen. Besonders in einem Haus mit Garten waren frisches Basilikum, Tomaten und Pecorino allerdings immer vorhanden. Vermengt mit Chili­flocken, etwas Zitronenzeste, ausgiebig Olivenöl, Knoblauch und natürlich hochwertigen Spaghetti ergibt das ein herzhaftes Nudelgericht, das Darios Vater immer gern für seine Kinder zubereitete. In seinem Ursprung wird die Pasta übrigens neapolitanischen Schuhmachern zugeschrieben: Früher hätte Kundschaft, die sich die Riemenreparatur nicht leisten konnte, in Naturalien gezahlt: Tomaten und Käse. Die Schuster mussten die frische Ware verwerten, entstanden war Pasta allo scarpariello („Scarpa“ steht für Schuh). „Ich merke auch, dass ich versuche, es meinem Vater gleichzutun: Wenn ich meinen Kindern jetzt schnell etwas kochen will, dann wird es auch oft Scarpariello“, sagt Formisano. Besonders die Vielfalt der Gerichte und dass man in Italien so stark an traditioneller Hausmannskost festgehalten hat, ist für den Koch der Grund, warum so viele „Komfort“ in seiner Landesküche finden.

Das Gericht Pasta allo scarpariello wird den Schustern Neapels zugeschrieben.
Das Gericht Pasta allo scarpariello wird den Schustern Neapels zugeschrieben. Christine Pichler

Dass Essen grundsätzlich mit Emotionen belegt ist, sei sogar überlebenswichtig, bestätigt Ernährungspsychologin Cornelia Fiechtl. Die Lust daran animiert uns erst zum Essen, ähnlich wie wir Freude an Schlaf oder Sex als Motivator für diese Tätigkeiten brauchen. Hat man keine Freude am Essen, spricht man von Appetitlosigkeit oder Anorexie. Freude am Essen, insbesondere an fett- oder zuckerhaltigen Gerichten, ist in unserer schlankheitsbesessenen Gesellschaft nur mittlerweile negativ besetzt, so Fiechtl. „Problematisch wird es nur, wenn Essen eine emotionsregulierende Funktion erhält“, sagt Fiechtl. Wenn wir also essen, wenn wir angespannt sind, uns schlecht fühlen oder langweilen, und uns dadurch besser fühlen wollen.

Studien zeigen, dass Menschen in Stresssituationen mehr Energie zu sich nehmen. Das merkt man etwa zu Krisenzeiten: Auch während der Coronapandemie hat sich das Essverhalten vieler Menschen verändert. Der Verkauf von Konserven und Fertiggerichten ist in die Höhe geschnellt, in den USA etwa freute sich der bekannte Dosensuppenproduzent Campbell’s nach Jahren der Verkaufsrückgänge plötzlich über die doppelte Nachfrage, und während Teile der Bevölkerung wieder mehr selbst kochten, stieg bei anderen die Frequenz bestellten Essens hin zum Tagtäglichen.

Georg Böhm kann das nachvollziehen: „Wenn es mir wirklich, wirklich schlecht geht, dann neige ich auch eher zu destruktivem Essverhalten. Da greife ich dann zu Tiefkühllasagne und Süßwaren aus dem Kühlregal.“ Ein Essverhalten, das sich diametral von seiner Kochweise im Café Kandl in Wien Neubau unterscheidet.

Georg Böhm, promovierter Arabist, ist eher ein Kopfmensch. Er kocht im Café Kandl in Wien Neubau. Mit dem Begriff Comfort Food kann er nicht ganz so viel anfangen. Für sich selbst kocht er immerhin kaum. Lieber für andere. Wenn die sich wohlfühlen, ja, dann habe er ein Comfort Food kreiert.
Georg Böhm, promovierter Arabist, ist eher ein Kopfmensch. Er kocht im Café Kandl in Wien Neubau. Mit dem Begriff Comfort Food kann er nicht ganz so viel anfangen. Für sich selbst kocht er immerhin kaum. Lieber für andere. Wenn die sich wohlfühlen, ja, dann habe er ein Comfort Food kreiert.Christine Pichler

Comfort Food in seinem positivsten Sinn hat für Böhm wenig mit ihm selbst zu tun. Wichtig sei ihm, dass sich die anderen wohlfühlen, jene, für die er kocht. Für seine Tochter Paula etwa bereitet „der Doktor“ — seinen Spitznamen verdankt er seiner Promotion in Arabistik — gern mal ihr Comfort Food zu, das im Übrigen auch das Lieblingsgericht von Mao Zedong war: geschmorter Schweinebauch zubereitet mit Sternanis, Zucker, Sojasauce, Zimt und Shaoxing-Reiswein. Im Café Kandl war das Trostgericht der vergangenen Wochen wiederum Fregola Sarda mit Parmesanschaum und Basilikumöl. Die Hartweizenkügelchen aus Sardinien lässt Böhm im Gemüsefond mit Zatar, Knoblauch und Weißwein köcheln, bis sie sich wohlig-würzig an den cremigen Parmesan schmiegen.

Fregola Sarda mit Parmesanschaum und Basilikumöl wird im Café Kandl aufgetischt.
Fregola Sarda mit Parmesanschaum und Basilikumöl wird im Café Kandl aufgetischt.Christine Pichler

An ein Comfort Food aus seiner eigenen Kindheit könne er sich nicht wirklich erinnern. „Höchstens Mayonnaise“, fügt er hinzu. Seine vier Geschwister und er mussten schon früh lernen, selbst Mayonnaise herzustellen. Sind sie heute zu Besuch bei den Eltern, steuern alle fünf treffsicher zuerst den Kühlschrank an. Gibt es frische Mayonnaise, wird mit einer Scheibe Brot kritisch verkostet.

Komfort als Essenz

Jemand, der sich dem „Komfort“ verschrieben hat (und „Schäumchen“ davon ganz exkludiert), ist Stefanie Herkner. Seit zehn Jahren führt sie nun ihr Wirtshaus Zur Herknerin im vierten Wiener Gemeindebezirk. Das Lokal sowie ihr Kochbuch „Wiener Küche mit Herz“ bedienen nicht nur Kindheitserinnerungen, sondern sind auch daraus entstanden. „Das Lokal ist ein Ort, um meinem Vater ein bisserl nah zu sein“, sagt Herkner. Heinz Herkner war in den 1970er- und 1980er-Jahren einer der besten Köche Wiens. Er starb, als die Tochter erst 13 Jahre alt war.

Stefanie Herkner führt das Wirtshaus „Zur Herknerin“ in Wien Wieden. Auf der Karte sowie in ihrem Kochbuch „Wiener Küche mit Herz“ (Brandstätter Verlag) findet man Gerichte aus ihrer Kindheit – Grießnockerl, Faschierter Braten, Sarma. Mit ihrem Essen will sie Menschen berühren, und das scheint ihr zu gelingen. Das für sie schönste Lob kam von einer Urlauberin, die sagte: „Ihr Essen macht mich richtig glücklich.“
Stefanie Herkner führt das Wirtshaus „Zur Herknerin“ in Wien Wieden. Auf der Karte sowie in ihrem Kochbuch „Wiener Küche mit Herz“ (Brandstätter Verlag) findet man Gerichte aus ihrer Kindheit – Grießnockerl, Faschierter Braten, Sarma. Mit ihrem Essen will sie Menschen berühren, und das scheint ihr zu gelingen. Das für sie schönste Lob kam von einer Urlauberin, die sagte: „Ihr Essen macht mich richtig glücklich.“Christine Pichler

Nun serviert sie Gerichte aus ihrer Kindheit. Dass das Essen die Leute berührt, merke sie und erklärt es wie folgt: „Das Gefühl des Umsorgens ist wiedergegeben in diesem Geschmack.“ Gefüllte serbische Krautrouladen, Sarma, lassen sich außerdem gut vorbereiten, die Fülle bestenfalls schon am Vortag, ein Pluspunkt für Comfort Food. „Vor zehn Jahren war ich ja noch allein in der Küche, Sarma war sozusagen mein Notfallgericht.“

Zu Sarma wurde Herkner von ihren slowenischen Wurzeln inspiriert.
Zu Sarma wurde Herkner von ihren slowenischen Wurzeln inspiriert.Christine Pichler

Das Rezept für Trostküche hat man somit schnell beisammen: Eine Prise Nostalgie ist meist enthalten, Lust oder Stress kommen hinzu, bequem in der Umsetzung soll’s sein, im besten Fall ist viel bewusster Genuss beim Verzehr vorhanden, im schlechtesten der Griff zur Fertigware, ein wenig Dopamin kommt obendrauf, und schon wird aus einem austauschbaren Gericht die Komfortvariante.

("Die Presse Schaufenster" vom 23.09.2022)

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