Mein Freitag

Wer den Schuh offen hat, muss ihn selber binden

Clemens Fabry
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Fußballer neigen zu lustigen Sprüchen: Nicht selten versteckt sich in scheinbar Einfachem Allgemeingültiges.

Letzten Sonntag in der Früh, es war noch vor halb neun, habe ich einen berühmten deutschen Schriftsteller auf der Straße getroffen. Nicht wirklich getroffen, er wartete einfach auch auf die Straßenbahn. Das kann an Sonntagen lang dauern. Es war kalt und nieselte und auf der Tafel des irischen Pubs verliefen die Buchstaben, die zu Pubquiz und Fußball einluden. Als sich unsere Blicke kreuzten, wusste ich sofort, wer er war, und er wusste, dass ich wusste, wer er war (es gibt eine Sekunde, die man beim Erkennen zu lang schaut), und es wirkte so, als freute ihn das ein bisschen.

Nun ist das wahrlich kein Mattle-Moment (der Tiroler Spitzenkandidat der ÖVP hat erzählt, er esse Eis „wie ein Normaler“), wenn ein Schriftsteller Straßenbahn fährt, es veredelte aber einen für mich grauen Morgen. Mein Ziel war wenig glamourös (die Abgabebox für Gurgeltests am Westbahnhof), aber was er wohl vorhatte? Sonntagfrüh ist man zielgerichtet unterwegs, nicht so wie ab spätem Vormittag die Bruncher und Ausflügler und Familien, die mit aller Zeit der Welt die öffentlichen Verkehrsmittel mit ihrer „Hurra, es ist Wochenende“-Stimmung“ fluten. Es muss der Stephansdom gewesen sein, wohin er entschlossenen Schrittes unterwegs war. Zumindest wäre dies das Ende meiner Kurzgeschichte, würde sie denn geschrieben werden. So klaubt man sich seine Ideen zusammen, mit Momenten, die einen kurz in ein anderes Leben blicken lassen, und wie es weitergeht, bleibt in der Fantasie.

In seinen Alltag als Fußballtrainer hat ein Mann völlig konträrer Prägung Einblick gewährt: Lothar Matthäus, ehemaliger deutscher Fußballrekordspieler mit Hang zu legendären Sprüchen („Ein Wort gab das andere – wir hatten uns nichts zu sagen“) sprach mit der „Gala“ über die Herausforderungen, mit Acht- bis Zehnjährigen zu arbeiten. Das Schlimmste sei deren Unfähigkeit, Schuhe zu binden. „Es kann nicht jeder, der den Schuh offen hat, zum Trainer laufen“, sagte Matthäus. Das ist größte Weisheit, auf so vielen Ebenen.

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