Literatur

Schuld und Jugend in Helsinki

Ein rasender Roman über ein Verbrechen in einem Villenviertel: Monika Fagerholms „Wer hat Bambi getötet?“.

Nachdem Gusten Grippe seine Schulkameradin vergewaltigt hat, verzieht er sich ins Kinderzimmer. Ins Kinderzimmer seines besten Freundes, der dem Mädchen eine Falle gestellt, sie betrunken gemacht, ihr ein Seidentuch als Knebel in den Mund gesteckt und seine Kumpel dazu aufgefordert hat, über sie herzufallen. „Grippe, bedien dich!“ – „Grippe, come on!“ Und jetzt sitzt Grippe in einem riesigen Wandschrank voll von Memory-Kärtchen und Badminton-Schlägern und Puzzles, verkriecht sich in den „abgelegten Überresten einer Kindheit“, und die Erzählstimme überlegt, wann wohl ihr Besitzer all dies zum letzten Mal zur Hand genommen, wann er ein letztes Mal Memory gespielt, Puzzle gelegt, ein letztes Mal zum Badminton-Schläger gegriffen hat. Irgendwann war er zu alt dafür. Irgendwann alt genug für eine Vergewaltigung.

Die Finnlandschwedin Monika Fagerholm schreibt über ein Verbrechen in einem Vorort von Helsinki. Dort, wo man normalerweise mit Geld und Beziehungen alles regelt, wo Anneliese Häggert, Mutter des Anstifters, Vorsitzende eines wirtschaftsliberalen Thinktanks, auch jetzt noch glaubt, sie müsse nur vor die Kamera treten, das Mädchen ein Flittchen heißen, und eine wohlwollende Berichterstattung sei ihr sicher. Sie wird scheitern. Scheitert sie auch, weil sie nicht wirklich dazugehört, weil sie nicht in diese Elite hineingeboren ist? Weil sie unter emotionalem Druck die Codes dann doch nicht ganz beherrscht? „Wer hat Bambi getötet?“ ist auch eine Sozialstudie – und unter der rauen, fetzigen Oberfläche immens politisch.

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