ÖVP

Krisenkanzler ist auch eine Chance

 Karl Nehammer, auf seinem Wahlparteitag im Frühjahr noch Mister 100 Prozent.
Karl Nehammer, auf seinem Wahlparteitag im Frühjahr noch Mister 100 Prozent. Georges Schneider / picturedesk.
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Die ÖVP – eine Kanzlerpartei in der Krise. In mehrfacher Hinsicht. Und über allem schwebt noch der Geist des Sebastian Kurz. Die Tiroler Landtagswahl am heutigen Sonntag könnte wegweisend sein.

Eine Partei zerfällt. Übrig bleibt, was immer da war. Genauer gesagt: Die türkise Bewegung zerfällt. Die ÖVP als Partei ist wieder auf sich selbst zurückgeworfen, auf ihren schwarzen Kern.

Sebastian Kurz ist mittlerweile ganz in der Privatwirtschaft angekommen, nun sogar mit eigenem Unternehmen, zur Seite steht steht ihm dort – wie zuvor in der Politik – Vera Regensburger, jetzt als Geschäftsführerin. Gernot Blümel, inoffizielle Nummer zwei der Kurz-ÖVP, ist heute CEO bei Superfund, Elisabeth Köstinger ist ebenfalls in einer Firma von Christian Baha gelandet, wie auch ihr früherer Generalsekretär im Ministerium, Gernot Maier.


Der Vertrag von Stefan Steiner, der grauen Eminenz von Türkis, mit der Partei läuft aus, er wird wohl nicht verlängert. Lisa Wieser, jahrelang engste Mitstreiterin von Kurz, ist ebenso weg. Wie zuletzt auch Laura Sachslehner aus dem Inner circle der Partei geflogen ist. Kurz' Chefkommunikator Gerald Fleischmann sitzt – noch – im Parlamentsklub. Politisch noch da ist eigentlich nur noch Axel Melchior, der Organisator der Kurz-Bewegung und spätere Generalsekretär. Er ist zwar hauptberuflich auch beim Industriellen und Kurz-Sponsor Klaus Ortner untergekommen, aber er hat immerhin noch ein Nationalratsmandat.
Aber nicht nur die türkise Bewegung zerfällt. Auch die türkisen Wähler, also jene, die nur wegen Sebastian Kurz die ÖVP gewählt haben, brechen weg. Beziehungsweise: Sie sind im „Wartesaal“, wie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka das ausdrückt. Mit den entsprechenden Maßnahmen, entsprechend argumentiert, seien diese von dort aber auch wieder abzuholen, glaubt der ÖVP-Haudegen, der den Farbwechsel von Schwarz zu Türkis unter Kurz begeistert mitgemacht hat, in Wirklichkeit aber immer nur einem treu blieb: nämlich sich selbst.

Die ÖVP in der Krise. In zweierlei Hinsicht. In der eigenen, hausgemachten. Und einer sie umgebenden aus Krieg, Pandemie und Inflation. Wie tief Erstere ist, darüber wird auch die Landtagswahl in Tirol am heutigen Sonntag Auskunft geben. Das letzte Mal surfte man noch mit auf der Sebastian-Kurz-Erfolgswelle, nun weht der Gegenwind aus Wien.

„Koste es, was es wolle“ genügt offenbar nicht. Auch die Abschaffung der kalten Progression, ein Jahrzehnte-Projekt, zahlt nicht zwingend auf das ÖVP-Konto ein. Diverse Boni und Deckel ebenso wenig. Die Kanzlerpartei bekommt die Aggression der Unzufriedenen ab. Der Schwung ist weg, der türkise Faden fehlt, das, was man Message Control nannte, von außen kritisiert wurde, aber die Partei im Inneren zusammenhielt. Nahezu jeder Funktionär wusste, um was es ging, Information gab es auf allen Kanälen, ein Rund-um-die-Uhr-Service der Parteizentrale.

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