Morgenglosse

Ein hochriskantes Experiment, auch für Giorgia Meloni

Giorgia Meloni hat den erwarteten Wahlsieg eingefahren.
Giorgia Meloni hat den erwarteten Wahlsieg eingefahren.REUTERS
  • Drucken
  • Kommentieren

Die Ultranationalistin hat einen enormen Berg an Hausaufgaben zu bewältigen und sie ist alleine an der Spitze. Um das zu schaffen, muss sie sich drastisch verändern.

„Wir werden euer Vertrauen nicht enttäuschen“, sagte Giorgia Meloni in ihrer ersten Rede nach dem Sieg. Ob das eine Drohung oder ein Versprechen ist, wird die Ultranationalistin in den nächsten Wochen und Monaten verdeutlichen. Denn Italien ist mit einer rechtsradikalen Partei an der Spitze wieder einmal zum Labor geworden für politische Experimente. Die Frage ist nun: Wird die EU – und Italiens Abhängigkeit von Geldern aus der EU – Italiens Ultrarechte mäßigen oder drängt die Rechts-Nationalistin Italien in die radikale Ecke, zu Polen und Ungarn? Dort wäre Rom isoliert. Die beiden formen derzeit nicht wirklich einen Block, sie trennt der Ukraine-Krieg.

Außerdem: Ein sehr großer Anteil ihrer Wähler und Wählerinnen haben Meloni nicht zur allerersten Premierministerin der italienischen Geschichte gewählt, weil sie „eine Frau, eine Mutter, eine Christin, eine Italienerin ist“, wie sie so gerne und so laut erklärt. Und auch nicht, weil sie im Grunde Benito Mussolini nicht schlecht fanden oder extrem EU-skeptisch sind. Sondern aus Trotz, wie bereits vor vier Jahren, als sie noch mehr Stimmen der radikalen Fünf-Sterne-Bewegung gaben. Sie wollen testen, ob Giorgia Meloni regieren kann.

Die Suche nach Kompromissen

Derzeit bedeutet dies aber in allererster Linie gutes Management. Erwartet wird, dass die 45-Jährige ihr fragiles Land nicht in die nächste finanzielle Katastrophe schlittern lässt und mit Italien den Euro. Dass die dringend benötigten Milliarden weiter aus dem EU-Coronahilfsfonds fließen, damit nicht noch mehr Armut entsteht. Dafür muss Meloni die Wirtschaft liberalisieren, die schwerfällige Bürokratie entstauben, digitale und ökologische Erneuerungen in die Wege leiten. Zugleich muss sie sparen, ohne weh zu tun – also den Haushalt soweit unter Kontrolle halten, dass sie Finanzmärkte beruhigt. 

Melonis Spielraum ist demnach extrem eng. Da ist jetzt kein Platz für Verfassungsänderungen mit autoritärem Touch, Angriffe auf Frauen- und LGBT-Rechte, Flirts mit dem prorussischen Viktor Orbán oder der rassistischen spanischen Vox. Derzeit zumindest nicht.

Denn das ist kein guter Moment, um als Rechtspopulistin zu punkten. Um an der Spitze der italienischen Regierung inmitten dieser globalen Krise zu überleben, wird Meloni Kompromisse schließen, sehr viele ihrer Versprechen und Prinzipien über Bord werfen müssen: Sie wird auf ihre teuren Ausgabenpläne oder gar auf illusorische Neuverhandlungen des Corona-Fonds verzichten und auf den Ton gegenüber Brüssel genauer achten müssen. Es wird gar nicht einfach, weiterhin provokant-protektionistisch-nationalistisch zu wirken, ohne brenzlige Grenzen zu überschreiten

Allianzpartner eher eine Last als Unterstützung

Wird sie die vielen Aufgaben bewältigen? Das ist stark zu bezweifeln. Meloni ist alleine: Ihre verbitterten Regierungspartner der Lega und Forza Italia, die laut Prognosen starke Verluste hinnehmen mussten, werden mehr eine Last als eine Unterstützung sein, Machtkämpfe und Profilierungssucht konnten sie nicht einmal im Wahlkampf im Zaum halten. Dass es in ihrer Partei zwar sehr viele Duce-Nostalgiker, aber wenig Kompetenz gibt, weiß sie selbst. Sie wird auf außenstehende Experten für ihr Team zurückgreifen müssen, Persönlichkeiten, die im politischen Zentrum angesiedelt sind und das Ausland überzeugen. Welche Namen sie auf ihre Ministerliste setzt, wird wegweisend für den Kurs. Darauf kann man gespannt sein.

Diese Regierung wird ein riskantes Experiment. Geht es gut, rückt Meloni mit ihren italienischen Brüdern ins Zentrum. Geht es schlecht, bleibt sie dort, wo sie jetzt ist. Dann wird es nicht nur für Italien, sondern für ganz Europa riskant und teuer. Lange dauern wird das Experiment vermutlich ohnehin nicht. Italienische Regierungen haben statistisch keine hohe Lebenserwartung.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Italien

Lega-Boss Matteo Salvini muss um seine Karriere zittern

Nach dem Wahldebakel droht dem Lega-Chef eine interne Rebellion. Und Giorgia Meloni will ihm keine Regierungsposten anvertrauen.
Meloni (re.) stellte mit ihrem Wahlsieg ihre beiden Bündnispartner (im Bild Salvni (li.) und Berlusconi) in den Schatten.
Außenpolitik

Endergebnis: Absolute Mehrheit für Melonis Rechtsbündnis amtlich

Das Bündnis von Giorgia Meloni ("Fratelli d'Italia"), Lega und „Forza Italia“ kommt in beiden Parlamentskammern auf eine absolute Mehrheit. FI-Chef Berlusconi ortet keine populistischen Tendenzen bei den Parteien.
Wahlanalyse Italien

Die Bruchstellen im System Meloni

Italiens erste Premierministerin wird es nicht leicht haben: Sie hat kein Personal, und es drohen Machtkämpfe mit den Regierungspartnern.
Analyse

Die Gewinner und die Verlierer der Italien-Wahl

Melonis Fratelli verdanken ihren Wahlsieg der Oppositionsrolle. Die Strategie der Linken ist gescheitert. Der Partito Democratico muss sich eine neue Führung suchen. Und die Fünf-Sterne-Bewegung feierte ein überraschendes Comeback.
Giorgia Melonis Lebensgefährte Francesco "Lollo" Lollobrigida.
Beraterkreis

Politik ist bei Giorgia Meloni eine Familienangelegenheit

Die erste italienische Premierministerin hört vor allem auf ihre Schwester und ihren Schwager – und auf alte Kameraden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.