Mein Dienstag

Für immer vielleicht

People watch sunrise on Qatrani camp next to Lake Qarun Protectorate in Fayoum
People watch sunrise on Qatrani camp next to Lake Qarun Protectorate in FayoumREUTERS
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Wer sich seine Jugendträume nicht in jungen Jahren erfüllt, macht das wahrscheinlich nie wieder.

Es gibt da diese Szene in dem brandneuen Amazon-Prime-Film „Dont't Make Me Go“. Die 16-jährige Wally erzählt ihrem Vater, dass sie nach der Schule eine Zeit lang ins Ausland gehen will, bevor sie studiert. „Willst du nicht auf Nummer sicher gehen und zunächst das Studium beenden?“, fragt er. „Ins Ausland kannst du auch später gehen.“ Könne sie nicht, erwidert Wally. „Wer jetzt auf Nummer sicher geht, wird immer jemand sein, der auf Nummer sicher geht, und sich seine Träume nie erfüllen.“

Wie recht sie doch hat. Jeder, der als Jugendlicher Ziele wie Auslandsaufenthalte gehabt, sie aber nie verwirklicht hat, weiß das. Immer gab es gute Gründe zu warten: Bloß nicht das Studium gefährden und zunächst den Abschluss machen; erst einmal ein paar Jahre arbeiten und Geld auf die Seite legen; der Zeitpunkt für eine Auszeit ist ungünstig, im Beruf läuft es gerade so gut; noch ein bisschen warten, dann kann auch meine Freundin mitkommen; okay, aber nächstes Jahr fix.

Ja, genau. Nächstes Jahr. Seit 20 Jahren dieselbe Leier. Und von Jahr zu Jahr wird es unwahrscheinlicher. Die Annahme, ein finanzieller Polster und eine einigermaßen gute Position im Beruf machten eine Auszeit leichter, ist einer der größten Irrtümer und gehört zu den bittersten Erkenntnissen des Erwachsenwerdens. Denn je mehr man glaubt zu haben, desto mehr gibt es auch zu verlieren. Und so vergehen sie, die Jahre, während ein Traum nach dem anderen platzt.

Und wer den Sprung doch wagt und mit 35, 40 oder 45 für zwei Jahre nach Südamerika oder Australien geht, kehrt in der Regel ernüchtert zurück – ohne die Erfahrungen und Begegnungen gemacht zu haben, die er sich als junger Mensch erhofft hatte.

Ja, das zuversichtliche, sorglose und naive Lebensgefühl der Jugend lässt sich nicht konservieren. Es weicht den Zugeständnissen und Enttäuschungen des Erwachsenenlebens. Und diese vertragen sich nicht mit einem „one way ticket“. Auch nicht mit scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Wie sagte Oscar Wilde noch gleich? „Niemand ist so reich, sich seine Vergangenheit zurückzukaufen.“

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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