Das Schicksal der Verstaatlichten

In Bezug auf die verstaatlichte Industrie ist es zu einer Verkehrung der Rollen der Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP gekommen.

Es verdient, vermerkt zu werden, dass die SPÖ die Auflösung der ÖIAG, der staatlichen Industrieholding, zu der noch die Post sowie die Telekom ressortieren, verlangt und sie dem Finanzminister zur Entsorgung überlassen will, während die ÖVP für die Aufrechterhaltung der kläglichen Restgröße der ehemaligen verstaatlichten Industrie eintritt.

Welch eine Verkehrung der historischen Rollen der beiden Koalitionsparteien in Bezug auf die Verstaatlichung! Die ÖVP war 1946 und 1947 nur entgegen ihrer Ideologie der Privatwirtschaft bereit, mit der SPÖ, für die dies ein Herzensanliegen war, die Verstaatlichungsgesetze zu beschließen, um die Industrie dem Zugriff der Besatzungsmächte, vor allem der begehrlichen sowjetischen, zu entziehen und Österreich zu erhalten.

Für die SPÖ war die Verstaatlichung weit mehr als eine durch äußere Umstände diktierte Notwendigkeit. Sie war der Ersatz für die Preisgabe der alten, im Austromarxismus dominierenden Idee einer total sozialisierten Wirtschaft. Doch die Geschichte ist über die Idee und Praxis einer sozialistischen Wirtschaft, auch in der Form der Drittelparität zwischen Staat, Konsumenten und Belegschaft, wie sie in dem austromarxistischen Konzept ähnlich wie in Titos Jugoslawien geherrscht hat, hinweggegangen.

Nirgends hat sich die als Gegensatz zum privatwirtschaftlichen Kapitalismus etablierte Zentralverwaltungswirtschaft bewährt, geschweige denn die behauptete Überlegenheit gegenüber der Privatwirtschaft bewiesen.

Das „Königreich Waldbrunner“

Umso entschlossener hat die SPÖ so lange wie möglich an der Verstaatlichung festgehalten und diese in Form der verstaatlichten Industrie zur Festung und Rückzugskonstruktion ausgebaut. Auf dem Höhepunkt dieser Machtentfaltung sprach man vom „Königreich Waldbrunner“ als einer scheinbar uneinnehmbaren Machtposition. Inzwischen ist dieses Königreich wie viele andere vor ihm in Stücke zerfallen und hat seine prägende Macht verloren. Wer spricht heute noch von Karl Waldbrunner, seines Zeichens Chef der Verstaatlichten?

Es war nicht bloß menschliches Versagen, das zum schrittweisen Zusammenbruch der Verstaatlichten führte, es kamen auch Strukturdefekte, die einer verstaatlichten Industrie anhaften und die der Nationalökonom Ludwig von Mises bereits in den frühen 1920er-Jahren analysierte, zum Vorschein. Der Selbstmord des langjährigen Vorsitzenden der ÖIAG, Hugo Sekyra, war, wenn auch erst nach dem Ausscheiden aus dem Amt begangen, symbolisch und symptomatisch für den Ruin der Staatswirtschaft. Es gehört zu den historischen Verdiensten des als Parteiobmann minder erfolgreichen Franz Vranitzky, die SPÖ dazu gebracht zu haben, sich mit diesem Machtverlust abzufinden.

Freilich hat sich herausgestellt, dass auch die Privatwirtschaft nicht gegen Deformation und Krisen gefeit ist, wie die noch immer andauernde Krise der Finanz- und Bankenwelt beweist. Aber die Korrekturmöglichkeiten sind jedenfalls vorhanden und denen einer rein sozialistischen Wirtschaft, die auf die Dauer nicht funktionieren kann, überlegen.

Die Schlussfolgerung aus diesen Fakten ist wohl die, dass es keine perfekte und gegen Fehlentwicklungen prinzipiell geschützte wirtschaftliche Ordnung gibt, was alle Verantwortlichen zu höchster Sorgfalt in Ausübung ihrer Macht verpflichtet.

Norbert Leser (*31.5.1933) war bis zu seiner Emeritierung 2001 Ordinarius für Gesellschaftsphilosophie an der Universität Wien.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2010)

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