Sexueller Missbrauch

Missbrauch durch Wiener Lehrer: Zahlreiche Opfer bei Wiener Sportverein

Der Lehrer war in führender Funktion für den Verein tätig und brachte reihenweise Schüler dorthin. Er soll einige von ihnen missbraucht haben. Viele der Opfer stammten aus zerrütteten Familienverhältnissen.

Immer mehr Details werden zu den Missbrauchsopfern eines Lehrers bekannt, der an einer Wiener Mittelschule mehr als zwei Dutzend Buben im Alter von neun bis 14 Jahren missbraucht haben dürfte. Im Zusammenhang mit den Missbrauchshandlungen spielte offenbar ein Sportverein in Wien eine wesentliche Rolle. Der Lehrer war dort in führender Funktion tätig und brachte reihenweise seine Schüler zum Verein. Auch zwei mögliche Mittäter dürften dort agiert haben.

Gegen die zwei Männer war am vergangenen Montag bei der Staatsanwaltschaft Wien von einer Opfer-Vertreterin eine Sachverhaltsdarstellung wegen Verdachts auf sexuellen Missbrauch von Unmündigen und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses eingebracht worden. Die Anklagebehörde prüft nun die Anzeige, in der gegen die beiden der Vorwurf der Mittäterschaft erhoben wird. Für sie gilt die Unschuldsvermutung. Der Lehrer hatte beide zum Sportverein gebracht, der ältere der beiden saß sogar im Vorstand, der Jüngere war zunächst Jugendreferent.

Während der Ältere der beiden nach dem Suizid des Lehrers den Verein verlassen haben soll, wurde der zweite am Mittwochabend "bis zur Klärung der gegen ihn gerichteten Anschuldigungen freigestellt". Das teilte der zuständige, dem Verein übergeordnete Verband mit. Der Mann war laut Homepage des betroffenen Vereins im vergangenen Dezember zum Vizepräsidenten gewählt worden.

Kinder haben „väterliche Zuneigung" gesucht

Die Schüler des verstorbenen Lehrers, gegen den die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen nach dessen Freitod eingestellt hatte, waren vor allem am Basketball-Training interessiert - und über die Jahre hinweg dürften etliche von ihnen in diesem Setting vom Pädagogen missbraucht worden sein. Das berichtete ein Vereinsmitglied, das eng mit dem Lehrer bekannt war, am Mittwoch.

Die Opfer stammten demnach oft aus zerrütteten familiären Verhältnissen und wuchsen ohne Väter auf. Dass sie in ihrem Lehrer eine männliche Bezugsperson fanden, die sich ihrer annahm, gefiel auch vielen Müttern: "Teilweise haben sie ihre Kinder bei ihm übernachten lassen. Die Kinder selbst haben ihn vergöttert. Es waren Kinder, die bei ihm väterliche Zuneigung gesucht haben". Der Lehrer bot auch unentgeltliche Mathematik-Nachhilfe an - ein Angebot, das für die finanzschwachen Familien verlockend war.

Beim Verein habe man bis zum Suizid des Pädagogen im Frühjahr 2019 keine Ahnung von sexuellen Übergriffen gehabt, wurde versichert. Ein Opfer sei vom Lehrer mit Schlafmitteln betäubt worden, aber vorzeitig aufgewacht. "Er wusste, was passiert ist", hieß es.

Bereits 2013 konkreter Missbrauchsverdacht

Gegen den Lehrer hatte schon 2013 ein konkreter Missbrauchsverdacht bestanden. Die Landespolizeidirektion Niederösterreich bestätigte am Mittwoch einen Bericht des "Standard". Wie Pressesprecher Raimund Schwaigerlehner mitteilte, wurde der Lehrer damals sogar von einem mittlerweile pensionierten Kriminalisten als Beschuldigter vernommen. Was aus der Anzeige wurde, ist derzeit unklar. 

Angezeigt hatte den Lehrer ein ehemaliger Teilnehmer eines Feriencamps "im Bereich Wolfgangsee", wie Schwaigerlehner erklärte. Der Lehrer war dort - angeblich mit Unterbrechungen - von 1990 bis 2010 als Betreuer tätig. Die Beschuldigteneinvernahme habe deshalb in Niederösterreich stattgefunden, weil der vom Missbrauch Betroffene im Bezirk Baden wohnhaft war, sagte Schwaigerlehner. Der Übergriff soll 2006 stattgefunden haben, das Opfer war laut "Standard" damals 13 Jahre alt.

„Versandete Anzeige“ 

Was aus der Anzeige wurde, ist unklar. Sie dürfte "versandet" sein. Polizeisprecher Schwaigerlehner erklärte, sie sei aufgrund des mutmaßlichen Tatorts am Wolfgangsee in ein anderes Bundesland - Salzburg oder Oberösterreich - weitergeschickt worden. Näheres lasse sich für die Polizei nicht mehr herausfinden. Aufgrund des Selbstmords des Lehrers, der sich nach einer Anzeige eines früheren Schülers im April 2019 das Leben genommen hatte, "können wir aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht mehr auf den Akt zugreifen", erläuterte Schwaigerlehner.

Weder bei der Staatsanwaltschaft Wels noch bei der Staatsanwaltschaft Salzburg - die beiden Strafverfolgungsbehörden sind für Kriminalfälle im Raum Wolfgangsee zuständig - fanden sich Hinweise auf ein Ermittlungsverfahren, das auf Basis der Anzeige aus dem Jahr 2013 gegen den Lehrer und Feriencamp-Betreuer geführt worden wäre. Das bestätigten die Sprecherinnen der beiden Behörden. Auch bei einer bundesweiten Suchabfrage mit dem Namen des verstorbenen Lehres fand sich kein Treffer.

"Es gibt aus dem Jahr 2013 kein diesbezügliches Ermittlungsverfahren", teilte das Justizministerium in diesem Zusammenhang am Mittwochabend auf APA-Anfrage mit. Gesichert ist nach derzeitigem Wissenstand damit nur, dass die Staatsanwaltschaft Wien nach der Anzeige des Wiener Schülers im April 2019 Ermittlungen gegen den Pädagogen aufgenommen hatte, die nach dessen Suizid eingestellt wurden.

Der Pädagoge, der 1996 als Lehrer pragmatisiert wurde, hatte seit 1990 für den Verein Ferienhort als Betreuer gearbeitet. Der Ferienhort ist eigenen Angaben zufolge ein gemeinnütziger und politisch unabhängiger Verein, der bereits seit 1888 besteht und Feriencamps für Kinder und Jugendliche am Wolfgangsee veranstaltet. Seitens der Einrichtung hatte es am Dienstag geheißen, es sei im Zusammenhang mit dem übergriffigen Pädagogen "bis heute kein Vorfall bekannt, der in unseren Camps stattgefunden hätte".

Zwei mögliche Mittäter

Angesprochen auf die Anzeige, erklärte Philipp Schrangl von dem Verein, der die Feriencamps betreibt, man habe davon nie Kenntnis erlangt. "An uns ist niemand herangetreten. Sonst hätten wir 2013 alles in die Wege geleitet, um die Vorfälle aufzuklären", betonte Schrangl. Er bedauerte darüber hinaus, bis zuletzt nichts von möglichen Mittätern des Pädagogen gewusst zu haben: "Wir wissen bis heute nicht, ob die allfälligen Mittäter bei uns als Betreuer tätig gewesen sind oder nicht."

Bei einem der beiden handelt es sich um einen ehemaligen Schüler und späteren Freund des Pädagogen, der auffallend oft an Schulsportwochen und Schulveranstaltungen der Bildungseinrichtung teilgenommen hatte, an der der Lehrer bis zu seinem Suizid beschäftigt war. Mittlerweile soll ihn die Schulleitung mit einem Hausverbot belegt haben. Der zweite in der Anzeige genannte Mann war früher Lehrer, der seinen Job in einem Gymnasium verloren hatte, nachdem er unter Missbrauchsverdacht geraten war. Im Sportverein wurde er dann als Trainer eingesetzt.

(APA)

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