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Lebt man in Endzeiten intensiver?

Diesen Sommer konnte nichts und niemand die Massen vom Massentourismus abhalten.
Diesen Sommer konnte nichts und niemand die Massen vom Massentourismus abhalten.Reuters/ Jon Nazca
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Der absurde, für uns heute ganz normale Urlaub wäre einst nie verstanden worden.

Der 2022er-Sommer hat sich coronalos angefühlt, jedenfalls haben alle auf Zuruf so getan, als hätten sie das Virus vergessen. Ich hab’ voll mitgetan. Ich habe die Pandemie echt halb ignoriert, da auf anderer Ebene – Putins Überfall auf die Ukraine, der eine Getreide- und letztlich Hungerkrise auslöste plus eine Energieknappheit – deutlich schlimmere Bedrohungen am Horizont stehen. Gar nicht zu sprechen von der Klimakatastrophe, die sich, verlässlicher als das Herbstvirus, zurückmelden wird. Trotzdem war ich fast noch fröhlicher als all die anderen. Lebt man in Endzeiten intensiver?


Wir lernten diesen Sommer, dass niemand die Massen vom Massentourismus abhalten wird können, ebenso wenig von Billigflügen. Auch sahen wir, dass der groß prognostizierte Siegeszug des Slow Travel auf sich warten lässt. Bis zu seinem Sieg wird noch viel unversteuertes Kerosin verbrannt werden. Der Mensch ist berüchtigt als Herdentier und Parasit mit fatalem Hang zu Selbstschädigung, gerade deshalb wird die globale Politik letztlich nicht um die verpönten Markteingriffe herumkommen. Auch um Eingriffe in den Reisemarkt. Gerade sitze ich am Airport und überlege, wie weit wir es gebracht haben. Ist dieses moderne Konzept „Urlaub“ nicht überhaupt verfehlt?

Einst gab es Arbeit und Zeiten, in denen man ruhte. Zwar dienten sie der Erholung, doch niemand hätte die Idee gehabt, zu behaupten, er würde regenerieren, chillen, niemand wollte ein „Spa“ „genießen“ etc., keiner hätte unser Vergnügen um jeden Preis verstanden, das als purer Stress empfunden worden wäre. Die eigene Gegend verließ man, wenn man woanders etwas zu tun hatte (Arbeit, Verwandtenbesuch, Pilgerreise)  – nur die wenigsten bewegten sich aus Neugier, und deshalb gab es jahrhundertelang keine Bankomaten. Spaß ­beiseite  – man reiste nicht zum Spaß!

Unser Anspruch, Urlaub müsse eine Art ­spektakulärer und prestigeträchtiger Jahres­höhepunkt sein, scheitert an der Entindividualisierung. Der internationale Airport, ein bornierter Shoppingparcours mit toter Gastronomie, stellt die exakte Gegenthese zur individuellen Erfüllung dar.

("Die Presse Schaufenster" vom 23.09.2022)

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