"Vertiefende Prüfung"

Gewessler will Lobautunnel nun endgültig stoppen

Leonore Gewessler bei der Pressekonferenz am Donnerstag.
Leonore Gewessler bei der Pressekonferenz am Donnerstag.APA/ROLAND SCHLAGER
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Nach einer „vertiefenden Prüfung“ soll das Projekt aus dem Gesetz gestrichen werden. Auslöser war eine Expertise, die den Bau des Tunnels als kontraproduktiv für die Klimaziele ausweist. Die ÖVP übt scharfe Kritik.

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) will den Lobautunnel endgültig zu Fall bringen. Dafür wird sie eine sogenannte "vertiefende Prüfung" einleiten, in deren Folge das Projekt aus dem Straßenbaugesetz gestrichen werden soll. Basis für die Entscheidung ist eine heute vorgelegte Expertise, wonach die Straße für die von Wien selbst gesetzten Klimaziele kontraproduktiv wäre. Die ÖVP kritisierte den Vorstoß scharf und erklärte die Diskussion darüber für beendet.

Gewessler betonte bei dem Pressetermin Donnerstagvormittag ein weiteres Mal, dass man nicht auf klimaschädlichen Projekten beharren könne, wenn es bessere Alternativen gebe. Dass diese vorhanden sind, sieht sie durch die Studie von Günter Emberger von der TU Wien bestätigt. Wien und Niederösterreich hätten ja ihr Angebot, Alternativen zu präsentieren, bisher leider abgelehnt. Die Tür dafür stehe aber weiter offen.

„Bessere Anbindung an die Donaustadt bereits geplant"

Die Expertise sagt im Wesentlichen, dass es keine Maßnahmen über die ohnehin bereits geplanten brauche, um eine Anbindung der Donaustadt zu gewährleisten. Die Stadtstraße wird ja kofinanziert, zudem gibt es diverse Ausbaupläne im öffentlichen Verkehr, von S80 über Verlängerung der Straßenbahn 25 bis hin zu Schnellbussen.Die Studie der TU argumentiert, dass schon die Umsetzung der von der Stadt Wien selbst gesetzten Ziele zu einer deutlichen Verkehrsentlastung führe. Eine höherrangige Straße wäre dagegen kontraproduktiv, würde sie doch zu mehr Verkehr führen. Die Klimaministerin sähe den Lobautunnel daher als massive Erschwerung der Zielerreichung. Bessere Alternativen seien der Ausbau der Öffis und Investitionen in das niederrangige Straßennetz.

Prüfung könnte zwei Jahre dauern

Die Expertise ist für Gewessler nun die Basis, um eine "strategische Prüfung" einzuleiten. Die ist Voraussetzung dafür, das Straßenprojekt aus dem Gesetz zu streichen. Wie Gewessler ausführte, dauere solch eine Prüfung im Schnitt zwei Jahre. Man werde sich aber bemühen, möglichst schnell voranzukommen. Dann sei sie optimistisch, dass der Lobautunnel aus dem Gesetz falle.

Zumindest der aktuelle Koalitionspartner machte aber bereits kurz nach der Pressekonferenz klar, dass er da nicht mitspielen wird. Verkehrssprecher Andreas Ottenschläger erklärte per Aussendung: "Mit uns als Volkspartei wird es keine Gesetzesänderung zur Streichung des Lobautunnels geben." Diese sei niemals Verhandlungsgegenstand und auch nicht Teil des gemeinsamen Regierungsprogramms gewesen.

Gewesslers heutige im Alleingang verkündete Absage sei "inakzeptabel", es habe davor auch keine Gespräche mit dem Koalitionspartner gegeben. Er hoffe, dass die Ministerin wieder auf den Pfad der konstruktiven Zusammenarbeit zurückkehre.

Verkehrsstadträtin Sima verärgert

Wiens Verkehrsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) zeigte sich ebenfalls verärgert. Während täglich mehr als 230.000 Pkws und jährlich 900.000 Transit-Lkws über die Tangente "durch die Stadt donnern", spiele die grüne Verkehrsministerin mit ihrer heute angekündigten "Pseudo-Prüfung des bereits bestgeprüften Infrastrukturprojekts Österreichs" auf Zeit. "Ziel ist es ganz offensichtlich, die überfällige Entlastung der Wienerinnen und Wiener zu verzögern und zu verschleppen - und dies ohne irgendeinen Lösungsansatz", kritisierte Sima via Aussendung. Die S 1 sei seit über 20 Jahren auf Herz und Nieren geprüft worden, es habe auch eine umfangreiche strategische Umweltprüfung für das Umfahrungsprojekt gegeben.

Der Nordteil der S1 sei längst baureif, beklagte Sima. Sie erinnerte daran, dass die Bauarbeiten bereits heuer hätten anlaufen sollen. Den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern seien bereits sehr hohe Kosten entstanden, betonte sie. "Zudem missachtet Gewessler das vom Nationalrat beschlossene und somit gültige Bundesstraßengesetz", zeigte sich Sima überzeugt. "Überall in Österreich baut die Verkehrsministerin Straßen und Umfahrungen, nur in Wien nicht."

Grüne sehen sich bestätigt

Verwundert zeigte sich auch SPÖ-Umweltsprecherin Julia Herr: "Während Wien als einziges Bundesland einen detaillierten Klimafahrplan hat, der den Weg zur Klimaneutralität bis 2040 vorgibt, fehlen die gesetzlichen Klimaziele auf Bundesebene schon seit mittlerweile 637 Tagen." Mit plumper Wien-Kritik werde hier vom eigenen Versagen abgelenkt.

Die Wiener Grünen sahen sich hingegen bestätigt: "Wir brauchen die Lobauautobahn nicht, stattdessen muss der öffentliche Verkehr ausgebaut werden. Dafür gibt es schon konkrete Konzepte in der Schublade", versicherte Mobilitätssprecher Kilian Stark in einer Presseaussendung. Es gebe nun keinen Grund mehr, an dem Projekt festzuhalten.

„Ulli Sima hat nun keine Ausrede mehr"

Uneingeschränkte Zustimmung zu den Maßnahmen der Ministerin kam auch von Umweltorganisationen. Greenpeace begrüßte etwa die Prüfung ausdrücklich. Diese könne auf solider Basis die Grundlage dafür liefern, den "klima- und umweltzerstörerischen Lobautunnel" ein für allemal aus dem Bundesstraßengesetz zu streichen. Greenpeace fordert die Stadt Wien und das Land Niederösterreich auf, "endlich an den Verhandlungstisch zurückzukehren und an einer zukunftsfitten Verkehrslösung zu arbeiten".Lena Schilling, die Sprecherin der Initiative "Lobau Bleibt", hob in einer Mitteilung hervor: "Die wissenschaftlichen Studien zeigen eindeutig: Es gibt Alternativen zu einer Autobahn durch die Lobau und mitten durch den Ortskern von Hirschstetten." Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Verkehrsstadträtin Sima hätten nun "keine Ausrede mehr". Beim WWF zeigte man sich ebenfalls zufrieden. Denn, so hieß es in einer Aussendung, die vor über 20 Jahren geplante Lobau-Autobahn sei ein "besonders negatives Beispiel für jahrzehntelange Versäumnisse in der Raumordnung und Verkehrsplanung von Wien und Niederösterreich".

„Keinen Bedarf aus Verkehrssicht"

Die Umweltschutzorganisation Virus verwies darauf, dass ihrer Ansicht nach für den S1-Lobauabschnitt ohnehin eine strategische Umweltprüfung nötig gewesen wäre. Dies sei jedoch nicht geschehen, der Eintrag ins Verzeichnis des Bundesstraßengesetzes sei 2006 somit zu Unrecht erfolgt. Es habe sich um einen Rechtsbruch gehandelt, wird versichert. Global 2000 forderte Bürgermeister Ludwig auf, auch den Bau der Stadtautobahn "endlich zu stoppen".

"Für den Bau der Lobau-Autobahn gibt es aus Verkehrssicht keinen Bedarf", konstatierte der Verkehrsclub Österreich (VCÖ). Stattdessen brauche es ein verstärktes öffentliches Verkehrsangebot. Auch die sich verschärfende Klimakrise habe veränderte Rahmenbedingungen gebracht, auf die die Verkehrsplanung reagieren müsse, hieß es in einer Stellungnahme.

Scharfe Kritik von Wiener ÖVP und Bundes-FPÖ

Harsche Kritik äußerte - so wie die Bundesaprtei - auch die Wiener ÖVP. "Der Lobautunnel ist und bleibt alternativlos. Grüne Fantasien von einer Welt ohne Straßen zeigen, wie lebensfern Bundesministerin Gewessler agiert", ärgerte sich Landesparteiobmann Karl Mahrer in einer ersten Reaktion.

FPÖ-Vertreter stießen in dasselbe Horn: "Die grünideologisch gänzlich verblendete ,Klimaministerin ́ Gewessler wird immer mehr zu einer Gefahr für die Zukunft Österreichs und seiner Bevölkerung - und die ÖVP lässt sie gewähren", kritisierten FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl und FPÖ-Verkehrssprecher Christian Hafenecker in einer Aussendung.

„Im Interesse einer breiten Mehrheit handeln"

Während die niederösterreichischen Grünen den Schritt von Gewessler begrüßten, zeigte sich Niederösterreichs Verkehrslandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP) in einer Aussendung empört: "Bundesministerin Gewessler ist verpflichtet, umzusetzen, was bereits seit Jahren auf dem Tisch liegt. Regierungsverantwortung zu tragen bedeutet, im Interesse einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit und nicht nur einer kleinen Gruppe zu handeln."

(APA)

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