Zinsen

Richtungsstreit in EZB neu entbrannt

Die deutsche Wirtschaft wird in eine Rezession rutschen, sagen die führenden Wirtschaftsforscher des Landes.
Die deutsche Wirtschaft wird in eine Rezession rutschen, sagen die führenden Wirtschaftsforscher des Landes.(c) AFP via Getty Images (CHRISTOF STACHE)
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Während viele Experten heuer noch zwei Zinsschritte der EZB fordern, stemmt sich Portugals Notenbankchef vehement dagegen.

Die hohe Inflation in den EU-Ländern hat die Europäische Zentralbank am Ende spät, aber doch zur Einsicht gebracht, dass an einer beherzten Anhebung der Zinsen kein Weg vorbeiführt. Mittlerweile steht der Leitzins bei 1,25 Prozent. Die führenden deutschen Forschungsinstitute gehen nun davon aus, dass die EZB noch viel stärker auf die Inflation reagiert als bisher an der Börse gedacht. „Weil es zu Aufwärtsrevisionen der EZB-Inflationsprognose für das Jahr 2023 kommen dürfte, wird die Geldpolitik wohl deutlich stärker gestrafft werden, als noch gegenwärtig an den Märkten erwartet“, teilten die Institute am Donnerstag in ihrem Herbstgutachten mit.

Die Institute erwarten heuer noch zwei Zinserhöhungen, womit der Leitzins dann auf 2,25 Prozent steigen würde. „Im ersten Halbjahr 2023 werden weitere Zinsschritte folgen“, hieß es. Dann werde der Leitzins bei etwa 3,25 Prozent liegen. Die EZB hatte im Juli im Kampf gegen den anhaltenden Inflationsschub die Zinswende eingeleitet und dabei die Schlüsselsätze erstmals seit 2011 erhöht. Bei ihrem zweiten Zinsschritt im September legte sie mit einem Riesenschritt von 0,75 Prozentpunkten nach. Die nächste Zinssitzung ist am 27. Oktober.

Angst vor Investitionsstopp

Die Institute erwarten zudem, dass die EZB die gezielten längerfristigen Kreditsalven für Banken – in der Fachwelt „TLTRO“ genannt – nicht neu auflegen wird. Sie gehen auch davon aus, dass die Euro-Notenbank ihre Netto-Anleihenkäufe in ihren bestehenden Kaufprogrammen nicht wieder starten wird. „Allerdings dürfte die Wiederveranlagung fälliger Wertpapiere vorerst fortgesetzt werden“, führten sie aus. Um starke Unterschiede bei den Renditen der Staatsanleihen der Euro-Länder auszugleichen, werde die Notenbank auch weiterhin die Reinvestitionen in ihrem Krisen-Anleihenkaufprogramm Pepp nutzen. Sollte das nicht ausreichen, rechnen die Institute damit, dass die EZB ihren neuen Anleihen-Schutzschild TPI zur Stützung hoch verschuldeter Euro-Staaten einsetzen wird.

Aus Sicht von Portugals Notenbank-Chef, Mario Centeno, sollte die EZB die Zinsen nicht zu schnell anheben. „Das könnte die Investitionen in einer Zeit dämpfen, in der wir dies dringend brauchen“, sagte Centeno am Donnerstag auf einer Konferenz. Zu schnelle Anhebungen könnten zudem dazu führen, dass die Notenbank später bei den Zinsen zurücksteuern müsse. Centeno gilt als Vertreter einer eher lockeren Geldpolitik. Eine sogenannte Entankerung der Inflationserwartungen sieht das EZB-Ratsmitglied Centeno nicht.

Notenbanker sprechen von Entankerung, wenn sich die Inflationserwartungen an den Finanzmärkten von der Teuerungszielmarke der Währungshüter entfernen. Sollte dies geschehen, wird es für die Geldpolitik noch schwieriger, die Inflation einzudämmen. Im August lag die Teuerung im Euroraum bei 9,1 Prozent, in Österreich bei 9,3 Prozent. Volkswirte gehen davon, dass die Inflation im September noch weiter gestiegen ist.

Litauens Zentralbank-Chef, Gediminas Simkus, fordert hingegen einen neuerlichen Zinssprung um 0,75 Prozentpunkte. „Meine Wahl wäre 75“, sagte er am Donnerstag zu Bloomberg TV. „Ich verstehe, dass ein paar Optionen auf dem Tisch liegen, aber 50 ist das Minimum“, fügte er hinzu.

Mehrheit für Zinssprung

Zuvor hatten sich Österreichs Notenbank-Chef, Robert Holzmann, und der slowakische Notenbank-Chef, Peter Kazimir, für eine Zinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte starkgemacht. Auch für Finnlands Notenbank-Gouverneur, Olli Rehn, sollte ein solcher Mega-Zinsschritt eine Option sein. Estlands Notenbank-Chef, Madis Müller, zufolge ist eine weitere erhebliche Zinserhöhung nötig, wie er zu Bloomberg TV sagte. „Betrachtet man das Inflationsniveau, wie wir es jetzt haben, und auch die Aussichten für die Zukunft, erfordert dies nach vorn gesehen eine weitere deutliche Erhöhung“, sagte er. Es sei aber zu früh, um zu sagen, wie stark das in Basispunkten sei.

Litauens Zentralbank-Chef, Simkus, will, dass die Notenbank auch „so bald wie möglich“ Diskussionen über eine Verringerung ihrer durch die jahrelangen Anleihenkäufe aufgeblähten Bilanz beginnt. Eine solche Debatte bedeute aber nicht, dass dann sofort auch Schritte erfolgten, fügte er hinzu.

Während also in der EZB wieder diskutiert wird, ob die Teuerung oder die Rezession das größere Übel ist, dürfte Europas größte Volkswirtschaft, Deutschland, mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Abschwung erleben. Die Wirtschaft rutsche wegen der Energiekrise im Winterhalbjahr in eine Talsohle und werde dann schrumpfen, erklärten die deutschen Regierungsberater. Heuer erwarten sie nur noch ein Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent und für 2023 einen Rückgang des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIPs) um etwa 0,4 Prozent. 2024 dürfte die Wirtschaft wieder 1,9 Prozent wachsen. (ag.)

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