Quergeschrieben

Hoffentlich bekommt Plagiatsjäger Weber mich in sein Visier

Ein Zufall führt zur Überlegung: Warum werden schlechte wissenschaftliche Arbeiten überhaupt akzeptiert? Über die Verantwortung der Begutachter redet niemand.

Es gibt eigenartige Zufälle. Das weiß jeder. Aber mit den folgenden hätte ich nicht gerechnet. Da erhalte ich Anfang September eine Anfrage des bekannten „Plagiatsjägers“ Stefan Weber. Er könne meine Dissertation aus 1971 an der Universität nicht finden, ob ich ihm helfen könnte. Konnte ich nicht. Sie interessiert mich seit 51 Jahren nicht mehr. Er ließ nicht locker. Aus reiner „Neugier“, wie er betonte.

Das Thema – „Die Wiener Effektenbörse und ihre Besucher in den Jahren 1867 bis 1875“ – dürfte diese Neugier eher nicht rechtfertigen. Der Zufall wollte es, dass fast gleichzeitig eine Anfrage des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Uni Wien kam; jenes Instituts also, an dem das Studium vor einem halben Jahrhundert abgeschlossen worden war. Es feiert sein hundertjähriges Bestehen. Die Tagung fand gestern, Freitag, statt. Aus diesem Anlass wollte ein junges Team Geschichten aus der Vergangenheit hören. Auf meine Frage, warum Dozent Weber denn die Dissertation nicht finden könnte, reagierte es verblüfft. Ein Handgriff, eine Dissertation, kein Problem. Fündig werden kann also keine Altersfrage sein.

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Wie auch immer, das machte mich aus mehreren Gründen nachdenklich. Wie unterbeschäftigt muss man sein, um aus „Neugier“ (an was eigentlich?) eine Arbeit zu suchen, die halb so alt ist wie das Institut? Und zu welchem Zweck? Ich hoffe, Weber, der „Plagiatsjäger“, bekommt mich ins Visier, falls er wirklich seine Zeit darauf verschwenden sollte. Ich hoffe es sehr. Gegen eine Aberkennung des Titels unter diesen Umständen hätte ich weiter nichts einzuwenden. Die Titelsucht in Österreich war mir immer schon suspekt.

Nachdenklich aber auch deshalb, weil in dem Plagiatsfuror der letzten Jahre keine substanzielle Diskussion über die Veränderungen im wissenschaftlichen Arbeiten zustande gekommen ist. Im Gegensatz zu früher wird jetzt zu Recht sehr viel Wert auf die Methoden gelegt, auf Punkt und Beistrich sozusagen. Dafür gibt es Vorlesungen, Seminare, Übungen wahrscheinlich auch. Manchmal scheint es, dass die Form für einen Studienabschluss gewichtiger ist als der Inhalt einer Arbeit. Jetzt ist „wissenschaftliches Arbeiten“ schon in den Sekundarschulen angekommen. Das gab es früher alles nicht.

„Honest mistake"

Geschenkt. Aber selbst unter der modernen Konzentration auf das richtige Zitieren etc. können Fehler passieren. Die Amerikaner kennen den Begriff „honest mistake“, ein ehrlicher Fehler. Dieser schützt sogar vor Strafverfolgung. Ein „honest mistake“, also ein unbeabsichtigter Fehler, wird nicht kriminalisiert. Zugegeben, der Unterschied zwischen ungewollt und beabsichtigt ist wahrscheinlich schwer festzumachen.

Nachdenklich auch, weil trotz aller „prominenten“ Fälle, die Weber wegen vermeintlicher Plagiate oder auch nur wegen schleißiger wissenschaftlicher Arbeit an die Öffentlichkeit brachte, nie über die Verantwortung der jeweiligen Bildungsinstitutionen und/oder der Begutachter der Arbeiten diskutiert wurde und wird. Jüngstes Beispiel: Warum hat man an der Donau-Universität Krems nicht bemerkt, dass Bundespolizeidirektor Michael Takacs „seitenweise aus dem Internet kopiert“ hat, wie Weber dessen Masterarbeit kritisiert hat?

In allen Fällen, in denen Politiker wegen Plagiatsvorwürfen zurücktreten mussten – bei Minister Karl-Theodor Guttenberg in Deutschland angefangen über den steirischen Landesrat Christian Buchmann 2017 bis zu Ex-Arbeitsministerin Christina Aschbacher, beide ÖVP –, wurde nie die Verantwortung der Begutachter und Betreuer thematisiert. Warum, zum Beispiel, war die Arbeit Aschbachers mit den sinnbefreiten Stellen, über die das ganze Land lachte, überhaupt akzeptiert worden?
Das Schweigen der zuständigen akademischen Institutionen spricht eigentlich Bände. Vielleicht sollte Weber einmal dort nachfragen.

Zur Autorin

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien.
www.diepresse.com/rohrer

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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