Gaspipeline

Nord-Stream-Lecks: "Sprengladung von mehreren 100 Kilo"

Eines der berühmten Bilder von der Meeresoberfläche in der Ostsee über einem der vier Lecks der Gaspiplines Nord Stream 1 und 2.
Eines der berühmten Bilder von der Meeresoberfläche in der Ostsee über einem der vier Lecks der Gaspiplines Nord Stream 1 und 2.APA/AFP/Airbus DS 2022/HANDOUT
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Dänemark und Schweden informieren den UN-Sicherheitsrat, dass die gemessenen Erschütterungen auf große Mengen Sprengstoff hindeuten. Russland fordert eine internationale Untersuchung und gibt dem Westen die Schuld.

Vor der Dringlichkeitsdebatte des UNO-Sicherheitsrats wegen der Lecks an den Nord-Stream-Gaspipelines in der Ostsee haben Dänemark und Schweden den Rat mit aktuellen Informationen versorgt. Mindestens zwei Explosionen seien unter Wasser geschehen, schrieben die beiden skandinavischen Länder in einem auf Donnerstag adressierten Brief.

Seismologische Institute hätten eine Stärke von 2,3 und 2,1 gemessen, was "vermutlich einer Sprengladung von mehreren hundert Kilogramm" entspreche. Alle verfügbaren Informationen deuteten darauf hin, dass die Explosionen vorsätzlich herbeigeführt worden seien.

Jeweils zwei Lecks seien in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen von Dänemark und Schweden entstanden, das daraus aufsteigende Gas habe an der Oberfläche mehrere hundert Meter große Gebiete erfasst. Auf schwedischer Seite hätten diese am Donnerstag einen Radius von rund 900 und 200 Metern gehabt, auf dänischer Seite von rund 555 beziehungsweise 680 Metern. Der Betreiber von Nord Stream 1 sei zu der Einschätzung gekommen, dass der Gas-Austritt an der Pipeline bis zum 2. Oktober anhalten werde. Eine ähnliche Einschätzung zu Nord Stream 2 stehe noch aus.

Weniger Gas tritt aus

Aus mindestens zwei der vier Lecks strömt inzwischen deutlich weniger Gas. An der Wasseroberfläche über dem kleineren der beiden Lecks in der Ausschließlichen Wirtschaftszone Schwedens trete das Gas nur noch auf einer Fläche mit einem Durchmesser von gut 20 Metern aus, teilte die schwedische Küstenwache am Freitagabend mit.

Auch der zuvor konstante Austritt über dem größeren dieser beiden Lecks habe sich verringert, und zwar auf eine Fläche mit einem Durchmesser von etwa 600 Metern. Basierend auf dem Dialog mit den Betreibern laute die Diagnose, dass der Gas-Austritt möglicherweise am Sonntag aufhöre.

Biden ortet Sabotage, Russland beschuldigt den Westen

US-Präsident Joe Biden hat die Lecks an den Erdgas-Pipelines am Freitag als Folge von Sabotage bezeichnet und Untersuchungen an den beschädigten Leitungen angekündigt. Zum gegebenen Zeitpunkt "werden wir Taucher runterschicken, um herauszufinden, was passiert ist", sagte Biden am Freitag in Washington. "Es war ein Akt vorsätzlicher Sabotage", betonte er zugleich. Kiew sagte er nach der Annexion ukrainischer Gebiete durch Russland weiter

Der russische Präsident Wladimir Putin hat indes den Westen für die Lecks an den Ostsee-Gaspipelines verantwortlich gemacht. "Sie (die Angelsachsen) sind zu Sabotage übergegangen. Unglaublich, aber wahr. Indem sie Explosionen an den internationalen Gas-Leitungen Nord Stream organisiert haben (...), haben sie faktisch mit der Zerstörung der gemeinsamen europäischen Energie-Infrastruktur begonnen", sagte Putin am Freitag.

Putin sprach bei der Zeremonie zur Annexion mehrerer ukrainischer Gebiete. Mit dem Begriff "Angelsachsen" können im Russischen die US-Amerikaner, die Briten oder beide Nationen zusammengefasst gemeint sein.

Bereits zuvor hatte Putin mit Blick auf die Lecks von einem "Akt des internationalen Terrorismus" gesprochen, aber keine möglichen Drahtzieher genannt. Russland hat dazu für diesen Freitag auch eine Dringlichkeitsdebatte im UN-Sicherheitsrat beantragt.

Geheimdienstchefs der GUS-Staaten beraten sich

"Es ist aber offensichtlich, dass der Hauptnutznießer (der Pipeline-Explosionen), vor allem wirtschaftlich, die USA sind", sagte der Sekretär des nationalen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, der Nachrichtenagentur Interfax zufolge am Freitag auf einer Sitzung mit den Geheimdienstchefs der GUS-Staaten.

Patruschew warf dem Westen vor, sofort nach Bekanntwerden der Lecks eine Kampagne gegen Russland gestartet zu haben. Daher sei es nötig, die Kooperation der Geheimdienste innerhalb der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), ein loser Staatenverbund ehemaliger Sowjetstaaten, zu vertiefen und die "Auftraggeber und Erfüllungsgehilfen des Verbrechens" zu enthüllen. Seit der Nacht zum Montag wurden insgesamt vier Lecks an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 festgestellt. Die Nato geht von Sabotage aus.

Patruschew sprach sich bei der Sitzung zudem dafür aus, gemeinsam gesetzlich gegen vom Westen kontrollierte Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Medien vorzugehen. Dies diene unter anderem dazu, Revolutionen zu vermeiden. "Russland hat die entsprechende Erfahrung und ist bereit, sie zu teilen", bot er an. Russland hat in den vergangenen Jahren konsequent, die Pressefreiheit eingeschränkt und eine immer größere Anzahl von NGOs verboten. Patruschew, einst russischer Geheimdienstchef, gilt als langjähriger Vertrauter von Kremlchef Wladimir Putin.

Russland fordere nach den Lecks in den Nord-Stream-Pipelines eine gründliche internationale Untersuchung, sagte Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow. Er wollte sich nicht zu Aussagen des Chefs des russischen Auslandsgeheimdiensts äußern, wonach Russland über Material verfüge, das auf eine Rolle des Westens bei den Löchern in den Ostseepipelines hinweise.

USA halten sich mit Spekulationen zurück

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hält Spekulationen über die Lecks an den Nord-Stream-Pipelines für verfrüht. "Was den Angriff oder den Schaden an den Pipelines angeht, gibt es zum jetzigen Zeitpunkt viele Spekulationen. Aber offen gesagt wird niemand in der Lage sein, mit Sicherheit festzustellen, was passiert ist, bevor nicht eine vollständige Untersuchung stattgefunden hat", sagte Austin auf einer Pressekonferenz in Hawaii. Er habe den Vorfall am Mittwoch mit seinem dänischen Amtskollegen besprochen, welcher ihn darauf hinwies, dass es einige Tage dauern werde, bis sich ein Team vor Ort die Lecks anschauen und den Schaden einschätzen könne.

"Es soll unser Wohlstand erschüttert werden", sagte der deutsche Finanzminister Christian Lindner im Bundestag. Dies sei das Kalkül des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der Energie als Waffe gegen Europa einsetze. "Er wird mit dieser Absicht scheitern."

(APA/dpa/Reuters)

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