Schellhorn am Samstag

Europa soll nicht die Welt retten, sondern erst einmal sich selbst

Europa wollte zum dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt aufsteigen. Heute liegt das Schicksal der EU in den Händen anderer.

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Franz Schellhorn ist Direktor der Denkfabrik Agenda Austria und war bis 2013 Leiter des Wirtschaftsressorts der „Presse“.

Nie war der Stoff der alten James-Bond-Filme näher an der Realität als heute. Mit dem feinen Unterschied, dass nicht ein geheimnisvoller Dr. No oder ein schlitzohriger Goldfinger mehrere Gaspipelines in der Ostsee gesprengt haben dürfte, sondern ein knallhart operierender Staat, dem wir bis vor Kurzem noch unsere Energieversorgung anvertraut haben. Das hat auch sehr viel damit zu tun, dass viele die Nutzung der Kernenergie energisch ablehnen, Fracking für ein ökologisches Kapitalverbrechen halten, keine Hochspannungsleitungen im Land sehen wollen, sich an den Geräuschen von Windrädern stoßen und den Lebensraum der Zauneidechse für wichtiger halten als eine stabile Energieversorgung. Günstige Gaspreise waren der geschickt ausgelegte Köder, den wir dankbar geschluckt haben. Jetzt sitzen wir in der Gasfalle und müssen auf mildes Wetter hoffen, um irgendwie über den nächsten Winter zu kommen. Was danach kommt, weiß niemand.

Überhaupt scheinen wir Europäer derzeit nicht die allerbesten Karten in den Händen zu halten. Die Europäische Union ist zwar noch immer der reichste, sozialste und wohl auch klimafreundlichste Wirtschaftsraum der Welt. Gleichzeitig aber auch jener, dessen Schicksal auffallend stark von den Launen anderer abhängt. Wir haben uns nicht nur mit Haut und Haaren den Russen ausgeliefert, wir haben auch nicht die Kraft, uns selbst zu verteidigen. Wir Europäer sind nicht in der Lage, unsere Außengrenzen zu schützen, und wir haben uns einer gemeinsamen Währung verschrieben, die von der politischen Gemütslage eines einzigen großen Mitgliedslandes abhängt.


Während wir die Türkei dafür bezahlen müssen, dass sie Millionen Flüchtlinge davon abhält, die Reise nach Europa anzutreten, zittern wir vor der frisch gewählten Regierung Italiens. Und das völlig zu Recht. Das Land wird nicht nur von einer europafeindlichen Regierung geführt, es ist nach den USA und Japan auch der drittgrößte Emittent von Staatsanleihen weltweit. Geht in Italien etwas schief, löste das auf den internationalen Kapitalmärkten ein gröberes Erdbeben aus. Schon gemäßigte Regierungen Roms wussten das finanzpolitische Gewicht ihres Landes zu kapitalisieren. Die Strategie war denkbar einfach: „Geld her, oder wir treten aus der Währungsunion aus.“ Nun wissen alle in Europa, dass der Schutzschirm, der die europäischen Banken in diesem Fall auffangen müsste, noch nicht erfunden wurde. Statt das mit 145 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verschuldete Land mit Reformen auf Vordermann zu bringen, fließt das billige Geld seit Jahren in Strömen Richtung Süden. Nicht Deutschland bestimmt den Kurs der europäischen Geldpolitik, sondern Italien.

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