Didaktik

Weg vom Screen, rein in den Hörsaal

Der informelle Austausch nach der Vorlesung verfestigt das erworbene Wissen und stärkt die studentische Identität.
Der informelle Austausch nach der Vorlesung verfestigt das erworbene Wissen und stärkt die studentische Identität. Getty Images
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Corona hat gezeigt: Studium geht auch online. Aber kann E-Learning das Präsenzlernen ersetzen? Von alten und neuen Konzepten und was es bringen kann, diese zu verknüpfen.

Mit der Pandemie und Ad-hoc-Umstellung auf Distance-Learning hat sich die Lernlandschaft an den Universitäten stark verändert. Diskussionen, ob Studiengänge – wie etwa das Lehramtsstudium – zur Gänze online abgehalten werden sollen, werden immer lauter. In Oberösterreich und Vorarlberg bietet die Pädagogische Hochschule das Lehramtsstudium bereits als Fernstudium an. Man möchte die Ausbildung für Quereinsteiger und Berufstätige attraktiver machen und so dem Lehrermangel gegensteuern. Psychologin Julia Holzer von der Universität Wien steht diesen Bestrebungen kritisch gegenüber. Ihre Studie „Lernen unter Covid-19-Bedingungen“ führt vor Augen, wie stark das Wohlbefinden und die Lernmotivation der Studierenden mit dem kollektiven Austausch zusammenhängen. „Studium ist mehr als 90 Minuten Lehrveranstaltung, und das Lernen ist stark mit gemeinsam geteilten Emotionen verknüpft“, erklärt die Wissenschaftlerin.

Multimodales Lernen effektiver

Grundsätzlich, so Holzer, seien wir multimodale Lerner und lernten auf vielseitige Art und Weise. „Je mehr Sinneskanäle angesprochen, Themen mit Emotionen und sozialen Situationen verknüpft sind, desto fester ist unsere Erinnerung daran“, weiß die Bildungspsychologin. Das gilt auch für das Lernen an der Uni: Studierende, die sich untereinander austauschen und dabei die Emotionen der anderen spüren, merken sich das Gelernte besser und können es leichter abrufen.

Beim E-Learning sei die Lernsituation hingegen auf weniger Kanäle reduziert. Holzer: „Das Lernen läuft entweder zweidimensional über einen Bildschirm oder gänzlich asynchron ab.“ Ein Dialog sei zwar grundsätzlich möglich, könne aber nicht in der Unmittelbarkeit stattfinden, wie sie der Präsenzunterricht erlaubt.

Tamara Frauenberger studiert Lehramt Biologie und Umweltkunde und bestätigt dies: „Online klinke ich mich viel schneller aus. Aber wenn ich im Labor stehe, selbst seziere oder Reaktionen teste und die Ergebnisse mit meinem Nachbarn bespreche, dann merke ich mir den Stoff sofort.“ Außerdem sei es einfacher, die Stimmung im Raum zu spüren. „Diskutieren macht mehr Spaß, wenn ich die Körperhaltung und Mimik der anderen sehen und darauf reagieren kann“, erzählt die Studentin.

Studium bildet Identität

Die Politikwissenschaftlerin Nora Hansl betont außerdem den identitätsstiftenden Aspekt des Studiums. Sie hat in einer Forschungsarbeit unter anderem die Auswirkungen von Distance-Learning in der Pandemie auf das Sozialleben der Studierenden untersucht. „Viele Studierende klagten über Gefühle der Entfremdung. Sie fühlten sich nicht mehr als „Studierende“, weil der soziale Aspekt zugunsten der Wissensvermittlung wenig priorisiert wurde“, erklärt sie. Gemeinsam in der Bibliothek zu lernen und dazwischen auf einen Kaffee zu gehen vermittelt das Gefühl, Teil eines größeren Kollektivs zu sein. Frauenberger spricht in diesem Zusammenhang vom besonderen „Uni-Feeling“, das in Zeiten der Onlinelehre einfach fehlte. „Es gibt mir schon viel, mit 100 Leuten im Hörsaal zu sitzen und gemeinsam ein bestimmtes Ziel zu verfolgen.“

Die jungen Erwachsenen hätten ein großes Sozialbedürfnis, bestätigt Holzer. Sie suchten nach einer Peergroup, mit der sie sich identifizieren könnten. Außerdem sei es wichtig, die Universität als Ort der Wissenschaftlichkeit zu verorten. „Die Rolle von Studierenden ist es dann, dieses Verständnis von Wissenschaft in die Welt hinauszutragen.“
Es gelte nun laut Holzer, sich gut zu überlegen, welche Elemente einer Lehramtsausbildung online angeboten werden, und neu eingerichtete Infrastruktur auf die Bedürfnisse der Studierenden abzustimmen. Bestimmte Aspekte des E-Learnings, wie die zeitliche und räumliche Flexibilität und das Zur-Verfügung-Stellen von Onlineressourcen, hätten sich trotzdem bewährt.

Konzepte zusammenführen

Lexikon

Holzer spricht sich daher für ein gut durchdachtes „Blended Learning“- oder „Flipped Classroom“-Konzept aus. Bei Letzterem werden etwa Vorlesungen aufgezeichnet und online gestellt. Begleitend dazu finden Präsenzeinheiten statt, bei denen die Studierenden an Podiumsdiskussionen teilnehmen, in verschiedene Rollen schlüpfen und aktiv über das Gelernte diskutieren können. „Corona war ein starker Motor für die Onlinelehre, jetzt ist es an der Zeit, alte und neu entwickelte Konzepte des Lehrens und Lernens neu zu konzipieren und zusammenzuführen“, so das Fazit der Bildungspsychologin.Blended Learning: hybrides Lernkonzept, das Präsenzlernen (Seminare, Exkursionen) mit virtuellen Online-Lernsettings (Webinare, Tutorials) verbindet.

Flipped Classroom, auch: umgedrehter Unterricht. Die Wissensvermittlung findet online über Lernvideos oder aufgezeichnete Vorlesungen statt. Im Präsenzunterricht wird das Gelernte vertieft bzw. mit interaktiven Methoden praktisch umgesetzt.

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