Die kanadische Historikerin und Kriegsexpertin Margaret MacMillan über die russische Teilmobilmachung, die Annexion noch nicht einmal vollständig eroberter ukrainischer Gebiete – und den wachsenden Groll gegen Präsident Putin in Russland.
Wie bewerten Sie, dass Putin nun eine Teilmobilmachung anordnen musste, nachdem er der Bevölkerung anfangs vorgegaukelt hatte, die „Spezialoperation“ in der Ukraine werde in ein paar Tagen vorbei sein?
Margaret MacMillan: Das ist extrem peinlich für Putin. Er hat es genossen, Staatschef einer Großmacht zu sein. Und jetzt sieht diese Großmacht schwach auf dem Schlachtfeld aus. Die russische Armee sollte eine der besten der Welt sein und wird nun in der Ukraine von Leuten gestoppt, die man im Kreml verachtet hat.
Wird die Mobilisierung von 300.000 russischen Reservisten das Gleichgewicht auf dem Schlachtfeld entscheidend verändern?
Nicht sofort. Denn die Reservisten müssen erst trainiert werden. Die russische Armee hatte immer nur relativ wenige Unteroffiziere. Viele von ihnen sind nun im Einsatz in der Ukraine. Wer also soll die 300.000 Soldaten ausbilden? Ich weiß auch nicht, woher die Russen ihre Ausrüstung bekommen wollen, um ihr Arsenal aufzufüllen. Wenn sie jetzt darüber reden, Geräte aus Nordkorea zu beziehen, müssen sie schon sehr verzweifelt sein.