Zahllose Frauen (und Männer) protestieren im Iran und weltweit nicht nur gegen die Kleidervorschriften, sondern gegen das System der Islamischen Republik an sich.
Jina Mahsa Amini lebt nicht mehr und Zohreh Zarabizadeh kann das noch immer nicht fassen. Neu, sagt sie, wären die Schikanen ja nicht, die Frauen tagtäglich im Iran erdulden müssten. Sie erzählt die Geschichte ihrer Bekannten, die sich scheiden hat lassen und die seit drei Jahren ihre beiden Kinder nicht gesehen hat, weil das Sorgerecht automatisch an den Vater ging; die nicht weiß, wie es ihren Kindern geht und wo sie überhaupt leben. „Als Frau“, sagt Zarabizadeh, „ist es sehr schwer im Iran.“ Das ganze Leben bestehe darin, sich zwangsweise selbst zu zensieren. Von früh bis spät, drinnen wie draußen.
Die iranische Kurdin Amini wurde vor zwei Wochen von der Sittenpolizei (Gasht-e Ershad) in Teheran verhaftet, weil ihr Kopftuch angeblich zu locker saß. Sie starb in Polizeigewahrsam, ihre Familie spricht von Gewalt und Folter, die Behörden schieben „Herzinfarkt“ als Grund vor. Seit dem Tod der 22-Jährigen demonstrierten vor allem Frauen im ganzen Land gegen die Kleidervorschriften, doch haben sich die Proteste ausgeweitet und richten sich gegen die Teuerung, gegen Korruption, im Prinzip gegen das ganze System der Islamischen Republik. „Die Menschen wollen einfach nicht mehr“, sagt Zarabizadeh, „dass im Namen der Religion in ihren persönlichen Lebensbereich eingegriffen wird.“ Selbst bis zum ultrakonservativen Teil der Bevölkerung sickere langsam durch, dass der Glaube endlich Privatsache werden müsse.