Interview

Michael Ludwig: "Selbstverständlich haben wir Notfallpläne"

Michael Ludwig
Michael Ludwig(c) Michele Pauty
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Wiens Bürgermeister, Michael Ludwig, über Krisenmanagement, Solidarität und seinen Ärger über die Bundesregierung.

Die Presse: 440.000 Gasthermen gibt es in Wien. Das ist mehr als in allen anderen Bundesländern zusammen. Wird der Winter in Wien der teuerste im ganzen Land?

Michael Ludwig: Diese Ansage stimmt nicht. Wir haben ja als erste Gebietskörperschaft eine Energieunterstützung auf den Weg gebracht, die bereits an die Haushalte ausbezahlt worden ist. Die Hilfen erhalten insbesondere jene, die sie besonders benötigen. Mehr als 200.000 Haushalte erhielten 200 Euro, Alleinerziehende 300 Euro. Dafür musste man auch nicht extra ansuchen. Und die Stadt förderte bis weit in den Mittelstand hinein überall dort, wo Energiekosten überproportional zu Mieten oder Haushaltseinkommen gestiegen sind. Diese Hilfen müssen allerdings beantragt werden. Uns ist aber bewusst, dass dies nicht der letzte Schritt ist.


Was ist geplant?

Wir werden die Hilfen aufstocken. Im vierten Quartal sollen weitere 200 Euro an betroffene Haushalte ausgezahlt werden.


Vielen wird ja erst bewusst, wie teuer die Energie ist, wenn sie die neue Stromrechnung in der Hand haben.

Da haben Sie recht. Es geht aber nicht nur um die Höhe der Energiepreise, sondern auch um die Versorgungssicherheit. Die Wien Energie hat in den vergangenen Wochen mehr als 30.000 Haushalte neu aufgenommen, weil diese von den privaten Energieversorgern aus den Verträgen geschmissen wurden und damit überhaupt keine Energieversorgung im Winter gehabt hätten.

Impressum

Dieses Interview erscheint im Rahmen von „Austria's Leading Companies“.

„Austria's Leading Companies“ wird von der „Presse“-Redaktion in voller Unabhängigkeit gestaltet und erscheint in Kooperation mit dem KSV1870 und PwC Österreich.

ALC wird unterstützt von A1, Casinos Austria, Commerzbank, DONAU Versicherung und Wiener Städtische Versicherungsverein, Škoda, TÜV AUSTRIA sowie Zero Project.

Redaktion: Hans Pleininger,
hans.pleininger@diepresse.com
Autoren: Alexander Haide, Gerhard Hofer, Christian Scherl.
Grafik: Martin Misarz, Linda Gutzelnig
Infografik: Gregor Käfer
Content Management: Isabella Karner




Kann ein Politiker heute tatsächlich das Wort „Versorgungssicherheit“ verwenden? Wissen Sie, ob die Energieversorgung tatsächlich sicher ist?

Nachdem die Mitglieder der Bundesregierung das so in Aussicht gestellt haben, wollen wir das so glauben.


Aber Sie verlassen sich ja sonst auch nicht blind auf die Regierung.

Wenn die Verantwortlichen offensichtlich nach genauer Prüfung des Sachverhalts das kundtun, gehe ich davon aus, dass man hoffentlich den Mitgliedern der Bundesregierung Glauben schenken darf.


Aber am Ende tragen Sie als Bürgermeister die Verantwortung für die Stadt. Gibt es Notfallpläne?

Selbstverständlich haben wir Notfallpläne entwickelt. Ich muss aber dennoch darauf verweisen, dass die Zuteilung des Gases im Kompetenzbereich der Regierung liegt. Unsere Möglichkeiten sind sehr eingeschränkt, wenngleich die Gasspeicher der Wien Energie in einem deutlich höheren Ausmaß gefüllt sind als jene im Rest Österreichs.


Das Gas hat sich die Wiener Energie durch langfristige Verträge gesichert. Aber es liegt nicht alles in den Speichern, es muss durch Leitungen fließen. Derzeit werden Gaspipelines gesprengt.

Allerdings fließt das Gas, das nach Österreich kommt, nicht durch die Ostsee, sondern zu einem großen Teil durch Pipelines, die durch die Ukraine führen.


Klingt aber auch nicht gerade beruhigend.

Deshalb arbeiten wir in Wien ja auch seit längerer Zeit sehr konsequent an einem Klimaschutzprogramm. Wir haben diesen Prozess auch aufgrund des Kriegs in der Ukraine beschleunigt. Wir arbeiten an der größten Fotovoltaik-Offensive, die es je gegeben hat. Wir werden pro Jahr Anlagen in der Größe von hundert Fußballfeldern entwickeln. Wir werden die Geothermie ausbauen. Wir bauen die größte Wärmepumpe Mitteleuropas. Vor Kurzem war der deutsche Wirtschaftsminister, Robert Habeck, in Wien und hat diese Pumpe in Simmering besichtigt. Er meinte, er hätte so eine Anlage gern in Deutschland.


Was halten Sie von Fracking im Weinviertel?

Nachdem ich Realist bin, denke ich, dass vor der niederösterreichischen Landtagswahl keine Bewegung in die Sache kommt.


Die ist ja in wenigen Monaten. Sind Sie der Meinung, dass man die Option Fracking prüfen soll?

Man weiß ja noch nicht, ob sich die Hoffnungen erhärten, dass es sich hier tatsächlich um größere Vorkommen handelt. Aber man sollte das jedenfalls genauer untersuchen. Ob es wirtschaftlich ist. Und ob das dann auch politisch in Niederösterreich umsetzbar ist, hab ich Gott sei Dank nicht zu entscheiden.


Ihre Entscheidung war es, der Wien Energie im Sommer zwei Kredite in Höhe von insgesamt 1,4 Milliarden Euro zu gewähren, später musste der Bund weitere zwei Milliarden zur Verfügung stellen, die bis dato nicht benötigt wurden. Haben Sie noch Angst, dass da noch Probleme auftreten?

Angst habe ich gar keine. Aber ich lese ja die „Presse“ mit großer Begeisterung und auch europäische Zeitungen. Und da wird ja davon berichtet, dass verschiedene nationale Regierungen Vorsorge getroffen haben, um eben derartige Hinterlegungen an den Energiebörsen vorzunehmen und Schutzschirme zu errichten. Deutschland hat diesen Schirm gerade von 100 auf 167 Milliarden Euro aufgestockt. Das ist also kein österreichisches, sondern ein europaweites Phänomen. Sogar die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Länder dazu aufgerufen, Vorsorge zu treffen. In Österreich ist das nicht geschehen. Deshalb war es notwendig, dass die Wien Energie durch eine andere Form unterstützt wird. Durch die Stadt und dann durch Mitteln der Öbfa, der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur. Auch andere Bundesländer bekommen von der Öbfa bis zu vier Milliarden Euro. Ich könnte mich nicht erinnern, dass es dort auch eine Pressekonferenz mit drei Mitgliedern der Bundesregierung gegeben hätte. Da dürfte schon ein besonderes Interesse am Bundesland Wien herrschen.


Hätten Sie es gern gehabt, dass die Regierung das Problem so dezent löst, wie Sie es im Sommer gemacht haben?

Ich hätte gedacht, dass man zuerst gemeinsam zu einer Lösung kommt und diese dann gemeinsam der Öffentlichkeit präsentiert. Hingegen erklärte der Finanzminister an diesem besagten Sonntagabend, die Wien Energie befinde sich in einer Schieflage. So einen Vorgang gibt es in keinem anderen Land, dass der Finanzminister, bevor noch eine Vereinbarung getroffen wird, zu den Medien geht und ein gut gehendes Unternehmen krankredet. Ich will mir ja gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn es sich um ein privates Unternehmen gehandelt hätte.


Als Sie Mitte Juli erstmals eine Tranche über 700 Millionen genehmigt haben, hätten Sie ja auch schon Ihre Lösung der Öffentlichkeit und dem Gemeinderat mitteilen können. Warum nicht?

Schon im März hat Finanzstadtrat Peter Hanke dieses Thema in der Öffentlichkeit angesprochen. Die Diskussion ist damals ja schon europaweit geführt worden. Ich bin der Meinung, dass man in der Wirtschaft zuerst Lösungen findet und diese dann kommuniziert. Ganz generell hat man in der Wirtschaft mit einer gewissen Verantwortung vorzugehen und entsprechend zu kommunizieren.

Wann war Ihnen klar, dass diese Sicherheitskautionen für die Wien Energie ein kritisches Stadium erreicht haben?

Eine wichtige Zäsur war die vorübergehende Sperre der Gaspipeline Nord Stream 1 am 11. Juli. Deshalb hat die Wien Energie einen Antrag an die Stadt Wien gestellt. Der wurde akribisch geprüft. Am 15. Juli wurde ich mit der Vorlage konfrontiert, bei der die Dringlichkeit klar festgehalten wurde. Daraufhin habe ich diese unterschrieben, und es wurden rechtskonform im Rahmen der Kompetenz des Wiener Bürgermeisters 700 Millionen zur Verfügung gestellt.


Sie hätten aber auch einen außerordentlichen Gemeinderat einberufen können.

Das ist laut Stadtverfassung nicht so einfach. Ein außerordentlicher Gemeinderat hat den Nachteil, dass kein ordentliches Geschäftsstück beschlossen werden kann. Es wäre also notwendig gewesen, einen ordentlichen Gemeinderat einzuberufen. Die Voraussetzung dafür wäre aber gewesen, dass vorher der Stadtsenat und das beratende Gremium des Finanzausschusses tagen. Das war Ende Juli/ Anfang August nicht möglich, weil keine regulären Sitzungen vorgesehen waren. Deshalb ist in meinem Geschäftsstück bereits festgehalten, wann diese Gremien die entsprechenden Beratungen abhalten. Es kann also keine Rede davon sein, dass ich diesen Kredit irgendwo vorbeischwindeln wollte. Ganz im Gegenteil: Es war alles rechtskonform. Und noch einmal: Ich finde es richtig, zuerst die politischen Entscheidungsträger zu informieren und dann die Öffentlichkeit.


Würden Sie alles wieder so machen?

Ich persönlich hatte ja nicht besonders viel Handlungsspielraum. Wenn ich der Geschäftsleitung der Wien Energie etwas mit dem heutigen Wissen auf den Weg gegeben hätte, dann: Nicht naiv in Gespräche mit der Bundesregierung gehen.


Die Regierung hat den Energiekostenzuschuss für Unternehmen um 1,3 Milliarden Euro beschlossen. Reicht das?

Das hängt von der Entwicklung auf den Energiemärkten ab. Das Merit-Order-Prinzip ist sicher mit ein Grund für die hohen Strompreise. Es wird ja längst auf EU-Ebene über eine Deckelung bei Strom- und Gaspreisen diskutiert. Spanien und Portugal haben das gemacht. Es geht ja darum, diese Preisspirale und somit die Inflation in den Griff zu bekommen. Wenn Strompreise um bis zu 3000 Prozent steigen, dann kann man das nicht mehr mit den normalen Marktgesetzen erklären. Ich verstehe deshalb nicht, warum die österreichische Bundesregierung diese Eingriffe nicht unterstützt. Der Zug in der EU wird in Richtung Preisdeckel gehen müssen.


Warum soll ein US-Energiekonzern einen gedeckelten Preis akzeptieren, wenn er Flüssiggas andernorts teurer verkaufen kann?

Da geht es um eine Grundsatzfrage. Unser Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell hat nur eine Zukunft, wenn wir das gemeinsame Europa in den Vordergrund stellen.


Wer mit der EU Geschäfte machen will, muss also nach ihren Regeln agieren.

Ja, man sieht ja, dass die Alternativen auch für Russland dünn gesät sind. Natürlich sind China und Indien potenzielle Abnehmer für Öl und Gas. Aber die Pipelines und Terminals gibt es noch nicht. Also hat Europa nach wie vor eine starke Marktmacht. Und das gilt auch für Flüssiggas. Zumal ja nicht gesagt ist, dass die Konditionen in Indien oder China besser sind als europäische Angebote.

Zur Person

Michael Ludwig ist seit Mai 2018 Wiener Bürgermeister. Zuvor war er Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung. Unter Ludwig ist Wien in der Pandemie einen eigenständigen Weg gegangen, wurden viele Maßnahmen strenger gehandhabt als von der Bundesregierung vorgesehen. Nach wie vor gilt in Wien in öffentlichen Verkehrsmitteln Maskenpflicht. Die nun steigenden Zahlen an Neuinfektionen würden zeigen, dass Wien hier richtig gehandelt habe, betont Ludwig.
Wien Energie. Zuletzt sorgte ein Blitzkredit des Bundes über zwei Milliarden Euro für die Wien Energie für Schlagzeilen. Das Geld war nötig, weil der Energieversorger an der Strombörse Kautionen hinterlegen musste. Tatsächlich wurde das Geld schließlich nicht benötigt, weil die Gas- und Strompreise wieder sanken. Ludwig betont, dass derartige Extremsituationen an den Strombörsen viele Konzerne in Europa betreffen. Andernorts werden Schutzschirme gespannt, in Österreich würde die Regierung ein „gut gehendes Unternehmen krankreden“.

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