Sexueller Missbrauch

Wiener Missbrauchsfall: Weitere Betroffene in Feriencamp

Der Pädagoge war 20 Jahre in dem Camp tätig. 2013 wurde er bereits von einem ehemaligen Teilnehmer angezeigt. Nun meldeten sich weitere Opfer.

In dem Missbrauchsfalls eines ehemaligen Wiener Lehrers wurden nun wieder neue Details bekannt. So dürfte es weitere Betroffene in einem Feriencamp am Wolfgangsee geben. Das teilte der Verein Ferienhort - eine große Einrichtung, die seit 1888 besteht und Sommer-Camps für Kinder und Jugendliche veranstaltet - am Dienstag mit.

Ein Fall war aus dem Camp bereits bekannt. Ein ehemaliger Teilnehmer hatte 2013 wegen eines bei einer Massage erfolgten Missbrauchs gegen den Wiener Sportlehrer Anzeige erstattet, die aus nach wie vor nicht geklärten Umständen "versandete“. Wie Philipp Schrangl, Vorstandsmitglied und Rechtsberater des Vereins, berichtete, hat sich nun ein weiterer Betroffener gemeldet. Dieser sei "um 2008" vom Wiener Pädagogen missbraucht worden. Der Lehrer war von 1990 bis 2010 mit Unterbrechungen während der Sommermonate außerschulisch als Ferien-Betreuer im Salzkammergut im Einsatz. Der Betroffene ist Schrangl zufolge ein ehemaliger Teilnehmer und später selbst als Betreuer im Ferienhort beschäftigt.

Möglichen Mittäter „eingeschleust"

Bei dem Vorfall, der nun bei der Ombudsstelle des Vereins gemeldet wurdee, habe es sich um "keine Vergewaltigung" gehandelt. "Aber das Opfer hat es als sexuellen Übergriff empfunden", sagte Schrangl. "Wir finden jetzt heraus, was passiert ist", sicherte er zu. Man werde den Betroffenen - dessen Wünschen entsprechend - entweder zur Polizei begleiten, um den Sachverhalt aufnehmen zu lassen, oder den Weißen Ring bitten, den Mann dabei zu unterstützen.

Darüber hinaus wurde zumindest einer der beiden möglichen Mittäter des Wiener Pädagogen von diesem auch im Ferienhort "eingeschleust". Es handelte sich dabei um einen früheren Schüler des Sportlehrers, "der zwar nie eine Funktion bei uns gehabt hat. Aber der Pädagoge hat ihn 2008 zu uns mitgenommen, damit er ihm beim Aufstellen der Trainingsgeräte hilft", schilderte Schrangl. Der "Helfer" habe sich insgesamt drei Tage im Camp befunden und sei dem Sportlehrer beim Geräteturnen assistierend zur Seite gestanden. Zu bedenklichen Übergriffen sei es in diesem Zeitpunkt "unseres Wissens nicht gekommen". „Er war auch nie alleine mit Kindern", berichtete Schrangl.

Videos mit anstößigen Inhalten

Allerdings habe der junge Mann nachher über Skype ein Mädchen angeschrieben, das er im Ferienhort kennengelernt hatte. "Das Mädchen behauptet, dass es von ihm nach dem Sommer Videos mit unangemessenen, anstößigen Inhalten bekommen hat", erklärte Schrangl. Dieser Fall werde "selbstverständlich eingehend untersucht". Dasselbe gelte zur Frage, ob der zweite mögliche Mittäter des Sportpädagogen - ein Basketball-Trainer - je im Ferienhort beschäftigt war. Derzeit gebe es darauf keine Hinweise.

"Es wird eine umfassenden Aufklärung des ganzen Komplexes geben", garantierte Schrangl, der auch freiheitlicher Nationalratsabgeordneter ist. Vor fünf Jahren habe eine Verjüngung des Vereinsvorstands stattgefunden: "Wir haben uns einer absoluten Zero-Tolerance-Politik verschrieben, was das Thema Kinderschutz betrifft." Im Ferienhort gebe es inzwischen spezielle Betreuerinnen und Betreuer, "an die sich Kinder und Jugendliche direkt wenden können, wenn sie Auffälligkeiten wahrnehmen oder selbst erfahren".

Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft unter Druck

Indes gerät im inzwischen weitverzweigten Missbrauchsfall die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) in ein immer schieferes Licht. Die dem Kindeswohl verpflichtete Ombudsstelle wusste seit Herbst 2018 von Berichten über übergriffiges Verhalten eines möglichen Mittäters. Sie informierte aber nicht die Staatsanwaltschaft. Auch die Bildungsdirektion Wien dementierte am Dienstag, entsprechende Informationen zeitnahe von der KJA erhalten zu haben. "Wir haben davon letzte Woche erfahren", teilte eine Sprecherin der Bildungsdirektion mit.

In der Basketball-Szene war das Verhalten des Mannes, der in einem Verein als Basketball-Trainer tätig war, seit längerem Gesprächsthema. Er wurde wiederholt dabei beobachtet, wie er auf Turnieren Buben aus seiner Mannschaft körperlich sehr nahekam. Schließlich nahm sich der Wiener Basketballverband (WBV), dem mehrfach entsprechende Wahrnehmungen gemeldet wurden, im Herbst 2018 dieses Themas an, wobei die KJA beigezogen wurde.

Am 26. November 2018 kam es zu einem Treffen zwischen Vertretern des betroffenen Vereins, des Verbands und einer Vertreterin der KJA, bei dem die Situation besprochen wurde. "Die Melderinnen sind sehr besorgt, dass [... ] (Name des Trainers, Anm.) sehr bewusst die Nähe zu kleinen Buben sucht", wurde laut einem schriftlichen Protokoll über die Besprechung festgehalten. Und weiter: Seit 2000 (sic) falle auf, dass der Trainer immer wieder Buben auf seinem Schoß sitzen habe. 2018 sei beobachtet worden, wie er einen etwa Zehnjährigen am Schoß sitzen hatte, diesen am Gesäß anfasste und sich dabei erregt hätte. In der Garderobe habe der Trainer Buben eingecremt und dabei auch deren Gesäß berührt und eingecremt. Einen Buben habe er alleine im Auto mitgenommen.

Trainer 2018 mit Vorwürfen konfrontiert

Bei einem Termin am 13. Dezember 2018 wurde der Trainer - wieder im Beisein der KJA - mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Es wurde mit ihm eine Vereinbarung getroffen, die vorsah, dass der Mann "Hilfsdienste" in der Garderobe einstellen musste, keine körperliche Nähe mehr suchen und Kinder unter 14 Jahren nicht mehr trainieren durfte und sich der Kontakt zu Jugendlichen auf die Vereinsöffentlichkeit zu beschränken hatte. Im Gegenzug wurde von einer Anzeige abgesehen - mit Wissen und Zustimmung der KJA, wie der Leiter der Ombudsstelle, Ercan Nik Nafs, schon in der Vorwoche bestätigt hatte. Es habe "keine handfesten Beweise für ein klares strafrechtliches Fehlverhalten" gegeben, zum damaligen Zeitpunkt hätten sich keine Opfer und keine Zeugen gemeldet gehabt, sagte Nik Nafs.

Das Ausmaß der unüblichen körperlichen Nähe, die der Trainer zu Buben herstellte, legt allerdings nahe, dass das Verhalten des Trainers schon damals auf eine mögliche geschlechtliche Nötigung (§ 202 StGB) bzw. Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung (§ 205a StGB) sowie den Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses (§ 212 StGB) zu prüfen gewesen wäre. Diese Einschätzung obliegt aber Staatsanwaltschaft. Die KJA ist keine Strafverfolgungsbehörde. Darauf angesprochen, hielt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Wien, Judith Ziska, am Dienstag zum Grundsätzlichen fest: "Das allfällige Prüfen von Sachverhalten auf ihre strafrechtliche Relevanz ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft." Man könne aber nur prüfen, wenn man von solchen Sachverhalten erfährt, sagte Ziska.

Staatsanwaltschaft erst 2019 in Kenntnis gesetzt

Kenntnis über die Vorgänge um den Basketball-Trainer erlangte die Staatsanwaltschaft erst 2019, nachdem der Wiener Basketballverband - und nicht die KJA - entsprechende Unterlagen der Polizei übergeben hatte, weil sich der Trainer nicht an die getroffene Vereinbarung gehalten hatte. Weder war er zur Männerberatung gegangen, noch hatte er den Kontakt zu unter 14-Jährigen eingestellt.

"Wir wurden in einem Polizeibericht informiert, dass es allfällige Verdachtsmomente gibt", bestätigte nun die Sprecherin der Anklagebehörde. Die Polizei habe darauf bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft nachgefragt: "Auf Nachfrage der Polizei hat es geheißen, dass keine strafbaren Handlungen passiert sind." Es hätten sich keine Opfer und keine Zeugen gemeldet, es sei niemand an die KJA herangetreten, schilderte Ziska, was die Polizei von der KJA an Rückmeldung erhalten habe.

Beweismaterial beiseite geschafft?

Erst Anfang letzter Woche wurden der Basketballtrainer sowie ein weiterer Bekannter des Sportlehrers von einer Opfer-Anwältin als mögliche Mittäter angezeigt. Die Staatsanwaltschaft prüft nach wie vor, ob ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Die Ermittlungen gegen den Sportlehrer selbst wurden nach dessen Suizid im Jahr 2019 eingestellt.

Gegen den zweiten Bekannten - den ehemaligen Schüler des Sportlehrers - steht auch der Verdacht im Raum, dieser könne möglicherweise Beweismaterial beiseite geschafft haben. Konkreten Beleg dafür gibt es zwar nicht, aber bei einer Hausdurchsuchung, die im Frühjahr 2019 bei dem Sportlehrer durchgeführt wurde, blieben der Keller, der Pkw und die Räumlichkeiten des Lehrers - der Spind und eine von ihm in eine "Chill Out-Zone" umgewandelte frühere Schulwart-Wohnung - in seiner Schule unberücksichtigt.

Bekannter räumte Spind aus

In der Wohnung des Mannes wurde jedenfalls in Fülle einschlägiges Material sichergestellt. Wie sich im Zuge der Erhebungen herausstellte, hatte der Pädagoge, der seit 1996 als pragmatisierter Beamter an einer Mittelschule mit Schwerpunkt Sport beschäftigt war, Nacktbilder bzw. -aufnahmen seiner Schüler angefertigt. Diese hatten das teilweise gar nicht mitbekommen. Wenige Tage nach dem Suizid des Lehrers soll dann der Ex-Schüler in der Schule aufgetaucht sein und - so die in der gegen ihn gerichteten Sachverhaltsdarstellung skizzierte Verdachtslage - dessen Spind geleert und den Inhalt mit einem Auto weggebracht haben. Für den Ex-Schüler gilt - wie auch für den Basketball-Trainer - die Unschuldsvermutung.

Zur Hausdurchsuchung stellte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft am Dienstag klar: "Die Hausdurchsuchung hat sich auf die Wohnung samt den dazu gehörenden Kellerräumlichkeiten erstreckt." Der Lehrer habe sich aber "derart kooperativ" verhalten und freiwillig alles herausgegeben, dass man den Keller nicht mehr untersucht habe. "Von einem Spind in der Schule und einer umgebauten Schulwartwohnung war uns zum damaligen Zeitpunkt nichts bekannt", erklärte Behördensprecherin Ziska.

Hilfe und Unterstützung

Für Beratung und Unterstützung können sich Betroffene und mögliche Betroffene an folgende Anlaufstellen wenden:

• Schulpsychologischer Dienst

Telefon: +43 1 525 25-77550, E-Mail: schulpsychologie@bildung-wien.gv.at

• Kinder- und Jugendanwaltschaft

Telefon: +43 1 70 77 000, E-Mail: post@jugendanwalt.wien.gv.at

• Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien

Telefon: +43 1 4000-80 11, E-Mail: service@ma11.wien.gv.at

Hilfe im Fall des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen:

Kinderschutzzentrum "Die Möwe"

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Vereinbarungen

Wiener Missbrauchsfall: Wiener KJA gerät unter Druck

Die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft wusste bereits im Herbst 2018 von den Berichten über übergriffiges Verhalten eines möglichen Mittäters des Sportlehrers. Eine Meldung an die Staatsanwaltschaft gab es nicht, weil man keine Opfer kannte.
Beweismaterial beiseite…

Hausdurchsuchung im Wiener Missbrauchsfall wirft Fragen auf

Bei einer Razzia im Jahr 2019 blieben diverse Räumlichkeiten des verdächtigen Lehrers unberücksichtigt. Ein Bekannter soll zudem seinen Spind geleert und den Inhalt weggebracht haben.
Die Bildungsdirektion will die Vorwürfe der Familienministerin nicht stehen lassen - sie hatte von einem "erschütternden Systemversagen aller befassten Wiener Behörden" gesprochen.(Symbolbild)
"Systemversagen"

Missbrauch an Wiener Schule: Raab spricht von "Systemversagen"

Die zuständige ÖVP-Ministerin hatten "Systemversagen" geortet. Man arbeite die Vorgänge seit 2019 auf, erwidert die Bildungsdirektion. Zuvor war bekannt geworden, dass der Sportlehrer in einem weiteren Verein aktiv war.
Was ist passiert?

Der verschwundene Missbrauchsakt

Der Lehrer, der Buben missbraucht haben soll, wurde bereits 2013 angezeigt. Der Akt dazu ist auf mysteriöse Weise unauffindbar. Viele weitere Fragen zu dem Fall tun sich auf.
Neue Details

Missbrauch durch Wiener Lehrer: Kommission weitet Erhebungen aus

Ein Sportlehrer soll an einer Wiener Mittelschule Buben im Alter von neun bis 14 Jahren missbraucht haben. An der Schule werden nun Vorgänge ab 1996 untersucht. Es gebe Hinweise auf „inakzeptables“ Fehlverhalten.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.