Replik

Von Medienpolitik in Hinterzimmern

(c) Peter Kufner
  • Drucken

Replik. Wenn die „Anpassung“ des ORF-Auftrags an das digitale Zeitalter in einer stumpfen Amputation seines Angebots besteht, ist das ein Drama.

DER AUTOR

Prof. Dr. Nikolaus Forgó (* 1968) ist Vorstand des Instituts für Innovation und Digitalisierung im Recht an der Universität Wien und Expertenmitglied des Datenschutzrats der Universität Wien.

Veit Dengler spricht in seinem „Presse“-Gastkommentar zur „blauen Seite des ORF“ (28. 9. 2022) von einem „Dramolett“ – also einem Minidrama: Es sei nichts Besonderes, dass ein Medienunternehmen wie der ORF (betriebswirtschaftlich motivierte) Entscheidungen dazu treffe, wie sich Bild-, Text- und Videoanteil zueinander verhielten. Wenn der ORF-Generaldirektor ankündige, in Zukunft einfach die Menge der Textnachrichten zu halbieren und stattdessen mehr Videos auf Orf.at erscheinen zu lassen, dann sei das eben nur ein rationaler Versuch nachzuvollziehen, was ohnehin schon längst geschehe, nämlich, dass sich der Medienkonsum insgesamt, insbesondere jener der Jüngeren, immer stärker zum Bewegtbild hin verlagere.

Die Diskussion dieser unternehmerischen Entscheidung in rechtspolitischen Kontexten, insbesondere jenen der ORF-Reform, sei Zeichen dafür, wie schwierig es in Österreich sei, vernünftige Reformen durchzusetzen, und also eher unsinnig. Eine (Selbst-)Beschränkung der Textnachrichten im ORF helfe den Zeitungshäusern, mehr Traffic auf den eigenen Seiten zu generieren und damit mehr Kunden für Bezahlinhalte anzuziehen. Das fördere die Medienvielfalt und diene damit der Demokratie im Land.

Aufregung unverständlich?

In Kürze: Aufregung unverständlich, überall nur rationale Entscheidungen und nur Gewinner. Dieser Befund verlangt nach einer Kontextualisierung:
1. Die Situation der österreichischen Printmedien im Internet hat sich sowohl ökonomisch wie auch meinungsbildnerisch immer weiter verschlechtert. Gleichzeitig gab es einen Run der Zeitungshäuser weg vom reinen Text im Netz.

Dass jetzt, 2022, vor diesem Hintergrund, die Marktlücke der Onlinezeitungen – in Abgrenzung zum ORF – von Dengler ausgerechnet in „textaffinen Zielgruppen“ gefunden wird, ist – gewagt.

Gleichzeitig steht der ORF vor dem manifesten Problem einer Überalterung seines Publikums. Es ist vor diesem Hintergrund ein großer Denkfehler, darauf zu hoffen, irgendeine Jugendliche ginge von Orf.at auf Krone.at oder DiePresse.com wenn, ja wenn nur, die erstgenannte Seite nur noch halb so viele Textinhalte vorhalte.
2. Wer die Geschichte des ORF-Gesetzes kennt, weiß von dessen Genese in den Hinterzimmern einer zunehmend scheiternden „Mediensozialpartnerschaft“ (Fritz Hausjell) und einer erheblichen Verrechtlichung des Betriebs. Entscheidungen zur Programmgestaltung sind deshalb niemals „nur“ betriebswirtschaftlich.

Im geltenden ORF-Gesetz ist dem ORF zum Beispiel einerseits zwar u. a. eine tagesaktuelle Online-Text- und Bildberichterstattung vorgeschrieben. Diese Beiträge dürfen andererseits jedoch höchstens sieben Tage lang bereitgestellt werden. Die Berichterstattung darf „nicht vertiefend und in ihrer Gesamtaufmachung und -gestaltung nicht mit dem Online-Angebot von Tages- oder Wochenzeitungen oder Monatszeitschriften vergleichbar sein und kein Nachrichtenarchiv umfassen.“ Die Berichterstattung ist auf Bundesländerebene „auf bis zu 80 Tagesmeldungen pro Bundesland pro Kalenderwoche zu beschränken“. Das bedeutet, dass man in der Redaktion am Dienstag abschätzen muss, ob nicht vielleicht am Donnerstag ein Erdbeben kommt oder der Landeshauptmann zurücktritt, damit man dann nicht zu viele der erlaubten Meldungen bereits verbraucht hat. Eine umfassende lokale Berichterstattung ist unzulässig. Bereits „gelaufene“ Sendungen dürfen in der Regel für höchstens sieben Tage zum Abruf bereitgehalten werde; die Möglichkeit, sie lokal zu speichern, muss für den Nutzer ausgeschlossen sein.

Und so weiter.

Hinzu tritt eine lange und abstruse Liste von Online-Angeboten, die der ORF nicht bereitstellen darf (§ 4f Abs. 2 ORF-G). Erfasst sind hier u. a. „Foren, Chats und sonstige Angebote zur Veröffentlichung von Inhalten durch Nutzer“ (Ziffer 23), „soziale Netzwerke“ (Ziffer 25) und „eigens für mobile Endgeräte gestaltete Angebote“ (Ziffer 28).

Und so weiter.

Mit einem Wort: Man beschnitt und beschneidet den ORF überall dort, wo Zeitungshäuser 2010 (oder früher) geglaubt haben, dass man daraus vielleicht ein Geschäft machen könnte.

Typisch österreichisch

Vor diesem Hintergrund besorgt der zeitliche und inhaltliche Zusammenhang der Ankündigung Weißmanns. Sie fällt nämlich ausweislich eines Berichterstatters so aus: „Man sei sich mit dem VÖP und dem VÖZ mittlerweile weitgehend einig, eine Abschaffung der ,blauen Seite‘ komme jedoch nicht infrage. Man werde sie aber in ihrem Umfang ändern und die Anzahl der Meldungen pro Tag halbieren.“ Also keine Totalabschaffung, nur eine Halbierung – ein typisch österreichischer, typisch, Pardon, stupider Kompromiss, denn die Mitte zwischen 0 und 1 ist 0,5.

VÖP und VÖZ sind Lobbyorganisationen der Privatsender und der Zeitungsherausgeber. Der Generaldirektor des ORF berichtet also von einem weiteren möglichen „Hinterzimmerdeal“.

Ob die zuständige Ministerin diesen möglichen Deal schon gekannt und/oder beeinflusst hat, bevor er „gedropped“ worden ist, weiß ich nicht, die Mediensprecherin der Grünen ließ jedenfalls sogleich verkünden, er stünde nicht im Regierungsprogramm – als wäre es darauf im Kontext jemals angekommen und als käme es hier jetzt darauf an.

Viel heiße Luft zu Medien

3. Das – wunderbare, dem Bildungsminister, wie sich in einem ORF-Interview gezeigt hat, leider zu lang verborgen gebliebene – Austria Corona Panel Project hat über die Zeit der Coronapandemie u. a. beobachtet, welchen Einrichtungen die österreichische Bevölkerung wie vertraut und wie sich dies verändert. Alle wichtigen Institutionen – von Wissenschaft bis Polizei – haben erheblich Vertrauen verloren. Das gilt auch, und gerade, für den ORF.

Im Regierungsprogramm der amtierenden Koalition steht neben viel heißer Luft zu Medien unter anderem auch eine recht konkrete Ankündigung: „Notwendig ist die gesetzliche Verankerung der stärkeren Zusammenarbeit zwischen ORF und Privaten sowie die Anpassung des öffentlich-rechtlichen Auftrags an das digitale Zeitalter.“

Wenn nun die „gesetzliche Verankerung der stärkeren Zusammenarbeit zwischen ORF und Privaten“ wiederum in Hinterzimmern vorbesprochen und auf Medienkongressen verkündet wird und wenn die „Anpassung des öffentlich-rechtlichen Auftrags an das digitale Zeitalter“ in einer stumpfen Amputation des bisherigen Angebots besteht, dann wird man sich leicht ausrechnen können, was das für das Vertrauen der Bevölkerung bedeutet – nicht nur in den ORF, sondern auch in die Regierung und in das Parlament. Eine solche Maßnahme ist dann also geeignet, unsere ohnehin schon ramponierten (rechtsstaatlichen) Institutionen noch weiter zu beschädigen.

Das ist ein ziemlich großes Drama.

Diesen Punkt, vor allem, verfehlt und camoufliert Dengler.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2022)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.