Das Ziel, mit einer gemeinsamen europäischen Währung dem Dollar als Leitwährung ebenbürtig zu werden, wurde nicht erreicht. Wie weit der Euro davon entfernt ist, zeigt sich derzeit deutlich.
Als nach der zweiten Ölkrise in den 1970ern die Zentralbanken daran gingen, die Inflation massiv zu bekämpfen, war es die US-amerikanische Notenbank (Fed), die die Führung übernahm. Die Konsequenzen US-amerikanischer Anti-Inflationspolitik waren in den Vereinigten Staaten und in vielen anderen Ländern der Welt sehr einschneidend. Die hohen Zinsen in den USA übersetzten sich in einen starken US-Dollar und ein weltweit hohes Zinsniveau. Für einige Entwicklungsländer führte das in teils langwierige Schuldenkrisen. OECD-Länder kämpften ebenfalls mit ihren Haushalten und einer sich verfestigenden Arbeitslosigkeit. Die USA wechselten damals vom Nettogläubiger zum Nettoschuldner und starteten eine 40-jährige Serie von Leistungsbilanzdefiziten. Der starke Dollar verbilligte die Importe und machte Exportprodukte teurer.
Der Problemmix kommt uns bekannt vor: Hohe Öl- und Gaspreise, ein starker Dollar, hohe Inflation und steigende Zinsen sind die Probleme von 2022. Dazu kommt ein Krieg, der diesmal nicht als Revolution im Nahen Osten, sondern als russischer Überfall auf die Ukraine im „noch näheren“ Osten daherkommt. Dabei ist diese Gemengelage mit importierter Inflation und Euroabwertung nur der letzte einer ganzen Reihe von Schocks, die die Europäische Währungsunion in den letzten 15 Jahren getroffen haben.
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Wirklich hausgemacht war von den letzten Krisen nur die Eurokrise. Alle anderen Krisen wurden mehr oder weniger importiert so wie natürlich die letzten Krisen, die Pandemie und die importierte Inflation, auch. Den starken Dollaranstieg beispielsweise hätte die EZB nur mit einer ähnlich starken Zinsreaktion auf die Inflation verhindern können. Dafür ist der Wechselkurs im Zielportfolio der EZB aber wohl nicht wichtig genug. Der Euro ist stabil, die Parität zum Dollar keine Katastrophe. Aber der starke Dollar befeuert die importierte Inflation in der Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWU), weshalb die EZB doch auf den Wechselkurs schauen muss. Weitere Zinsanhebungen stehen ohnehin ins Haus, in den USA aber sicher auch.
Stabilisierter Wechselkurs
Mit zweistelligen Inflationsraten werden beide Zentralbanken, deren wichtigste Aufgabe die Preisstabilität ist, nicht leben wollen. Natürlich reduzieren erhöhte Zinsen die Investitionen, Rezessionsgefahren bestehen in der EU wie in den USA. Anders als in den USA wird wegen der importierten Inflation in Europa, eine Rezession aber nicht unbedingt eine Reduktion der Inflation bringen. Ein stabilisierter Wechselkurs würde das aber schon schaffen.
Im EWU-Verbund ist die Herausforderung des starken Dollar leichter zu meistern als als „kleiner“ europäischer Nationalstaat. Eine positive Wirkung, die wir uns vom Euro bei seiner Einführung erhofft haben, war es mehr Unabhängigkeit von der Entwicklung des Dollar zu erhalten. Das ist insofern geschehen, als dass man sich nicht vorstellen möchte, wie es um die währungspolitischen Herausforderungen einer Drachme oder Lira stünde. Einem Wechselkurssystem wie dem EWS mit seinen fixen Wechselkursen stünden wohl Turbulenzen bevor. Die Zinssätze müssten in einigen Staaten deutlich über das derzeit realisierte Niveau gehoben werden.
Langfristige Zinsen für spanische Staatsanleihen sind derzeit nicht höher als für britische bei gleichem relativen Schuldenstand beider Länder. Das war 2009 noch anders, als Spanien trotz geringerer Verschuldung höhere Zinsen zu zahlen hatte als Großbritannien. Hier wirkt sich sicher das im Juli eingerichtete Transmission Protection Instrument (TPI) aus, mit dem sich die EZB erlaubt, asymmetrisch in den Staatsschuldenmarkt einzugreifen. Das Handelsblatt berichtete von Verkäufen deutscher, französischer und niederländischer Papiere und Käufen von griechischen, italienischen, portugiesische und spanischen Papieren. Die Unterschiede in der Verzinsung europäischer Staatsanleihen blieben so relativ gering.
Politische Störungsversuche
Das andere Ziel der Eurogründung, dem Dollar als Leitwährung ebenbürtig zu werden, wurde nicht erreicht. Wie weit der Euro davon entfernt ist, zeigt sich derzeit deutlich. Das liegt vor allem am noch immer nicht geklärten Zusammenspiel von nationalen Fiskal- und supranationaler Geldpolitik. Politische Störungsversuche aus einigen Mitgliedsstaaten kommen noch dazu. Wer will in so einer Währung einen sicheren Hafen sehen? Der Euro muss ja auch keine zweite Leitwährung werden, nur müssen wir uns dann eben in entscheidenden Momenten am Dollar orientieren, auch wenn eine unabhängige Geldpolitik anders agiert hätte. So wie derzeit, da die Dollarstärke den wichtigsten Grund einer Zinsanhebung darstellt.
Der Autor
Jörn Kleinert ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Graz. Er arbeitet dort besonders an Themen der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen.

Quellen:
Der Spiegel „Die ökonomische Massenvernichtungswaffe“ https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/us-dollar-die-oekonomische-massenvernichtungswaffe-a-3f2a17a9-d489-4bc7-9de8-ca8d5e0ae517
Handelsblatt „EZB stützt Italien mit Milliarden aus erster Verteidigungslinie“ https://www.handelsblatt.com/finanzen/geldpolitik/anleihekaeufe-ezb-stuetzt-italien-mit-milliarden-aus-erster-verteidigungslinie/28569874.html