Wort der Woche

Mikroplastik im Meer

Es wird immer klarer, welches Schicksal die Unmengen an Mikroplastik haben, die alljährlich in die Weltmeere gelangen.

Von den annähernd 400 Millionen Tonnen Kunststoff, die alljährlich produziert werden, landet ein erklecklicher Anteil im Meer – Schätzungen reichen von 4,8 bis 26 Mio. Tonnen. Plastik zerfällt durch Umwelteinflüsse langsam in immer kleinere Partikel (Mikroplastik bzw. unter einem Mikrometer Durchmesser: Nanoplastik). Je kleiner die Teilchen sind, umso leichter können sie in Lebewesen eindringen. Laut aktuellen Studien nimmt der Mensch jährlich rund 100.000 Mikroplastik-Partikel über Nahrung und Wasser sowie beim Einatmen auf (Xusheng Dong et al., Science of the Total Environment 855, 158686). Ob das gesundheitliche Auswirkungen hat – und wenn ja: welche –, ist derzeit eine der großen offenen Fragen der Wissenschaft.

Immer klarer sieht man indes, was mit Plastikpartikeln im Wasser geschieht. Ein Glücksfall für die Wissenschaft war dabei der Untergang der SS Hamada 1993 im Roten Meer vor der Küste Ägyptens, wo der Frachter seither samt Ladung – Polyethylen-Granulat – in sechs bis 18 Metern Tiefe liegt. Eine deutsch-ägyptische Forschergruppe um Franz Brümmer (Uni Stuttgart) verfolgt im Detail, was mit dem Plastik dort geschieht: Jene Partikel, die seit bald 30 Jahre vom Meerwasser umspült werden, blieben bisher so gut wie unverändert; jene Teilchen, die ans Ufer gespült wurden, sind hingegen durch Hitze und UV-Strahlen von Rissen durchzogen und zerfallen nach und nach in unzählige Bruchstücke (Scientific Reports, 13. 7.).

Man weiß bereits recht gut, dass der Großteil des Plastikmülls im Meer à la longue auf den Meeresgrund absinkt – oder regional an Küsten abgelagert wird, wo er bisweilen zum Bestandteil neuartiger Gesteine wird. Bis es so weit ist, richten die Partikel in vielen Ökosystemen einiges an Schaden an; aber gleichzeitig werden sie auch von manchen Wasserorganismen genutzt: So siedeln sich etwa Algen oder Bakterien auf den Oberflächen an – von einigen weiß man sogar, dass sie Polymere verdauen können. Eleanor Sheridan (Uni Cambridge) fand mit Kollegen heraus, dass Kunststoffadditive (Weichmacher, Antioxidantien usw.) als leicht verfügbare Kohlenstoffquellen das Wachstum diverser Mikroorganismen fördern (Nature Communications, 26. 7.). Und Forscher um Marlena Joppien (ZMT Bremen) haben nun auch nachgewiesen, dass Foraminiferen – einzellige Meereslebewesen, die sich Gehäuse aus Kalk bauen – Plastikpartikel in ihre Hüllen einbauen (Scientific Reports, 30. 8.).

Das alles ändert freilich nichts daran, dass Plastikmüll in der Umwelt nichts verloren hat.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2022)

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