Kritik

„Utopia“ versorgt Musik mit Elektrizität

Das umjubelte Debütkonzert des neuen Orchesters von Teodor Currentzis im Wiener Konzerthaus demonstrierte, wie man den umstrittenen Dirigenten künftig im Westen halten möchte.

Vor dem ausgeleuchteten Konzerthaus sammelt sich das Publikum, ein Straßenmusikant spielt. Von Protesten keine Spur. Und doch war es alles andere als ein gewöhnlicher Abend im Konzerthaus. Zum einen, da es das Wien-Debüt eines gerade gegründeten Orchesters war, zum anderen, da das Ganze von einer politischen Debatte überschattet wurde. Teodor Currentzis verkündete erst im August, dass er ein neues, internationales Ensemble bildet, das unabhängig finanziert werden soll. Da stand er schon seit Monaten in der Kritik, weil er sich nicht vom russischen Regime distanzierte und sein St. Petersburger MusicAeterna-Orchester (nach wie vor) von der sanktionierten VTB-Bank und Gazprom finanziert wird. So wirkte die Gründung von „Utopia“ wie ein hastiger Versuch, den westlichen Veranstaltern einen Ausweg zu bieten.
Seit dem abgesagten Benefizkonzert für die Opfer des Ukraine-Kriegs, das Currentzis im April im Konzerthaus spielen wollte, betont Intendant Matthias Naske, MusicAeterna nicht einzuladen, bis eine unabhängige Finanzierung gesichert ist; auch andernorts ist MusicAeterna heutzutage unerwünscht. Es sei schon lang geplant gewesen, in einem Projektorchester gleichgesinnte Spitzenmusiker zu vereinen, so Currentzis.

Nur Spitzenmusiker. In Utopia spielen tatsächlich lauter Mitglieder europäischer Spitzenorchester, wie der Staatskapelle Dresden oder des Concertgebouw-Orchesters, darunter gleich neun Konzertmeister. Die knappe Vorlaufzeit machte doch neugierig, ob die angepeilte Spitzenklasse erreicht wurde. Die Frage wurde schon mit Strawinskis „Feuervogel“-Suite beantwortet: Utopia spielt auf einem Niveau, das kaum ein „neugeborenes“ Orchester erreichen kann.
„Genie lässt sich nicht besser analysieren als Elektrizität. Entweder man hat es, oder man hat es nicht. Strawinski hat es“, schrieb Jean Cocteau 1918. Elektrizität hat auch Currentzis, ob er deswegen ein Genie ist, ist eine andere Frage. Jedenfalls holt er aus seinen Orchestern ein tatsächlich elektrisierendes Maximum heraus – sei es das Mahler-Jugendorchester, sei es das SWR-Orchester, sei es nun Utopia. Mit den Wiener Philharmonikern hat es nicht geklappt, seit der ersten, missglückten Zusammenarbeit 2013 weigert sich das Orchester, mit ihm zu spielen, auch in der Staatsoper. Trifft Currentzis aber auf Musiker, die bereit sind, ihm zu folgen, sorgt er für rauschhafte Erlebnisse.

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