Die Ich-Pleite

Teuerung „reframen“

Carolina Frank
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Wie erhalten jetzt die Gelegenheit, zu zeigen, wie toll wir sparen können.

Es gibt nichts, das nur Nachteile hat. Vielleicht ist das eine Behauptung, die man widerlegen könnte. Aber sie könnte einem helfen, die Teuerung ein bisschen schönzu­reden bzw. zu „reframen“. Zum ­Beispiel erhalten wir jetzt die Gelegenheit, zu zeigen, wie toll wir sparen können. Die Älteren unter uns kannten ja noch Menschen, die wirklich sparen konnten. Meine Uroma hat im Krieg mit einem Trockenei und ein paar Esslöffeln Mehl fünf Menschen satt bekommen. Als Anfängerinnen sollten wir uns vielleicht nicht gleich an Weltmeisterinnen messen. Aber eine Reise nach San Francisco, New York oder Paris können wir uns auch schon sparen, ohne dass wir deshalb auf eine Live-Schaltung von dort verzichten müssten.

Möglich machen das die Zoom-Hintergründe, die wir beim Videotelefonieren verwenden. Zu Beginn der Pandemie, als wir es noch nicht besser wussten, haben wir unseren Chefs und Kunden ja oft unfrei­willig die ungebügelte Wäsche der letzten fünf Monate gezeigt oder die literarischen Ausrutscher in unserem Bücherregal oder gar das Adamskostüm eines Übernachtungsgastes. (Ich war es nicht. Eine Freundin von mir!) Aber jetzt kann jeder sein Privatleben perfekt vor seinem Chef und den Kunden reframen.

Ich glaube ja, dass das Reframen auch bei einem selbst wirkt. Während der Zoom-Pionierzeit hat einen der Blick in die Kamera, sprich: den Spiegel, ja nachdenklich gemacht. Manche haben vielleicht gleich eine Pflegeversicherung abgeschlossen, andere haben es noch mit einem ­Termin bei der Kosmetikerin versucht. Aber durch die neuen Zoom-Filteroptionen „Weichzeichner“ oder „Rosa“ ist das vorbei. Eine günstigere Anti-Aging-Maßnahme gibt’s gar nicht. Einziger Nachteil: Man darf nicht mit dem Reframen aufhören.

("Die Presse Schaufenster" vom 7.10.2022)

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