Lukaschenkos Regime schlägt zurück

Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko
Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko(c) AP (Sergey Ponomarev)
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Die Öffnung nach Westen scheint vor dem Aus. Die Proteste gegen Wahlfälschung wurden brutal niedergeschlagen, ein Oppositionskandidat ist spurlos verschwunden und die Polizei verhaftet hunderte Oppositionelle.

Minsk. Auch am Montagabend fehlte weiterhin jede Spur von Wladimir Nekljajew. Sie habe beim Innenministerium, bei der Generalstaatsanwaltschaft und beim Geheimdienst KGB nachgefragt, sagte Nekljajews Frau am Montag mit tränenerstickter Stimme vor Journalisten in Minsk: „Ich weiß nicht, wo er ist und wer ihn wohin entführt hat.“ Nekljajew ist nur einer von vielen. Weitere sechs Oppositionskandidaten der Präsidentenwahlen vom Sonntag in Weißrussland wurden verhaftet. Mit ihnen hunderte Bürger, die sich mit 10.000 anderen zum friedlichen Protest gegen Wahlfälschungen versammelt hatten, wie die Polizei selbst angab. „Friedlich“, sagte sie nicht.

Rückblende. Sonntag, später Abend auf dem Leninplatz der Hauptstadt Minsk: Manch einer weinte ganz einfach. Viele zitterten – und das nicht nur vor Kälte. Andere hatten damit zu tun, ihre blutenden Köpfe zu verbinden, nachdem sie mit Knüppeln malträtiert worden waren. Einige lagen reglos im Schnee. Nekljajew war schon Stunden vorher bewusstlos geschlagen worden. Im Krankenhaus verliert sich seine Spur.

Die Einsatztruppen des Regimes haben mit einer Brutalität zugeschlagen, wie schon lange nicht mehr. Als Anlass wurde genommen, dass ein paar Demonstranten Glastüren eines Regierungsgebäudes eingeschlagen hatten. Ob es Provokateure des Regimes waren, werde man nie erfahren, so ein westlicher Diplomat. Von den friedlichen Demonstranten waren sie gezügelt worden. Präsident Alexander Lukaschenko nannte sie alle unterschiedlos „Banditen“.

Mit 79,67 Prozent der Stimmen wurde er am Sonntag in die vierte Amtszeit gewählt. Zum Vergleich: Die stärksten der Oppositionskandidaten, Andrej Sannikov und Wladimir Nekljajew, erhielten 2,41 bzw. 1,77Prozent. Ihren Angaben zufolge hatten sie weitaus mehr erzielt, sodass es zu einer Stichwahl hätte kommen müssen.

OSZE: „Schlechte Stimmauszählung“

Ist dies in diesem Ausmaß auch in Zweifel zu ziehen, weil Lukaschenkos Popularität vor allem auf dem Land hoch bleibt, so wurde offenbar doch massenhaft gefälscht, wie zuletzt 2006. „Ich habe sehr gehofft, dass wir dieses Mal einen positiveren Bericht abliefern können“, so Geert Ahrens, Chef der OSZE-Beobachtermission: „Leider ist das unmöglich.“ Die Stimmauszählung wurde in fast der Hälfte der beobachteten Wahllokale als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ beurteilt. Auch das System der vorzeitigen Stimmenabgabe und der unlautere Wettbewerb in den Medien werden angeprangert.

Zuletzt hatte Lukaschenko wegen der Finanzkrise und den wiederholten Zerwürfnissen mit seinem Gönner Moskau die Fühler nach Europa ausgestreckt. Erst kurz vor den Wahlen einigte er sich dann wieder mit Moskau über die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes und schlug Subsidien von 3,7 Mrd. Dollar heraus. Die EU ihrerseits hatte die Zahlung von drei Mrd. Euro Hilfsgeldern an faire Wahlen geknüpft.

„Der Gewalteinsatz war völlig überzogen. Lukaschenko hätte ihn nicht nötig gehabt“, sagt der Wiener Weißrusslandexperte Hans-Georg Heinrich. Dass die Oppositionskandidaten wie angedroht zu bis zu 15Jahre Haft verurteilt werden, glaubt er nicht. Ihnen werde der Druck aus dem Westen helfen – im Unterschied zu denen, die weniger bekannt sind. „In Weißrussland gehen Tausende für nichts und wieder nichts ins Gefängnis. Wer nicht eingesperrt wird, wird mit anderen Sanktionen gemaßregelt.“
GASTKOMMENTAR Seite 27

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2010)

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