Die Opposition müsste sich Vorwürfe gefallen lassen, würde sie das Budgetpaket einfach durchwinken. Die Regierung macht es sich ohnehin selbst viel zu leicht.
Leitartikel
Den meisten Österreichern wird garantiert die Frage, ob sie bis 24.Dezember rechtzeitig alle Geschenke organisiert haben, mehr Kopfzerbrechen bereiten als der Umstand, dass Parlamentarier kurz vor Weihnachten noch eine nächtliche Sonderschicht im Parlament einlegen müssen. Keine Angst, die Mandatare werden trotz der zwei Dutzend Abänderungsanträge der Grünen und einer Serie an namentlichen Abstimmungen zum Budget- und Sparpaket rechtzeitig zu Hause sein. Auch bei angeblich so alternativen Politikern ist der Wunsch, die Zeit bis knapp vor dem Heiligen Abend im wenig heimeligen Hohen Haus statt daheim zu verbringen, garantiert nicht sehr ausgeprägt.
Wirklich überrascht können die Vertreter der Koalitionsparteien über den vorweihnachtlichen Budgetbremsversuch der Opposition nicht sein. Die Regierung und Finanzminister Josef Pröll haben mit dem Hinauszögern der Vorlage des Staatshaushalts für das kommende Jahr und dem Brechen der vorgesehenen verfassungsrechtlichen Fristen das nunmehrige Durchpeitschen des Budgets 2011 und der mehr als 150 Begleitgesetze binnen weniger Tage selbst erst notwendig gemacht. Denn SPÖ und ÖVP haben seit dem Sommer alle Vorstöße der blau-grün-orangen Opposition für eine frühere Budgetvorlage mit ihrer dafür immer noch ausreichenden Mehrheit konsequent abgeschmettert.
Klar, die grüne Bundessprecherin Eva Glawischnig und ihr zuletzt im Budgetausschuss dauerredender Stellvertreter Werner Kogler müssen der Regierung dafür sogar ein bisschen dankbar sein. Der adventliche Aktionismus im Parlament bietet immerhin die Möglichkeit, die Österreicher darauf aufmerksam zu machen, dass es die Öko-Partei noch gibt. Frei nach dem Motto: Hurra, wir leben noch! Im heurigen Jahr waren Glawischnig und ihr Parteiapparat auf Bundesebene sonst vollauf damit beschäftigt, enttäuschende Landtagswahlergebnisse schönzureden (Rot-Grün in Wien entsprang in erster Linie einem Wahlbetriebsunfall der SPÖ in der Bundeshauptstadt).
Die FPÖ war offensichtlich der Meinung, angesichts einer rot-schwarzen Koalitionsmauer, die ohnehin nicht mehr am Budgetpaket rütteln lässt, genüge das blaue parlamentarische Standardrepertoire für derart aussichtslose Fälle: Das besteht darin, dass Parteiobmann Strache wortreich darüber klagt, dass die Österreicher von der Regierung „ausgeplündert“ werden. Im Übrigen verlässt sich die FPÖ darauf, dass die Bundesregierung mit ihren Belastungsvorhaben ohnehin selbst den Großteil der Oppositionsarbeit gleich miterledigt.
Den Grünen geht es zwar um das gleiche Ziel wie den Freiheitlichen, wenn sie die Rücknahme von Kürzungen für Familien, Studenten und künftige Bezieher des Pflegegelds erreichen wollen. Nur ist deren Aufwand mit dem Bündel an Änderungsanträgen eben wesentlich größer. Aber man stelle sich den umgekehrten Fall vor: Die Opposition und die Grünen würden das Budgetpaket ohne viel Aufhebens und widerstandslos vom Parlament absegnen lassen. „Müde Opposition“ wäre dann noch der mildeste Vorwurf.
Die SPÖ und ihr Klubobmann Josef Cap haben, wie das am Montag passiert ist, schon gar keinen Grund, sich über die „Rabiatgrünen“ aufzuregen. Denn die Kanzlerpartei hatte vor der Septemberwahl 2008 keinerlei Skrupel oder Bedenken, als im Parlament bis weit in die Morgenstunden hinein eifrig Wahlzuckerln (13.Familienbeihilfe, Hacklerpension) verteilt wurden. Dafür werden die Österreicher jetzt im Nachhinein mit diesem Budget auch zur Kasse gebeten.
In Sachen Populismus nimmt es Kanzler Faymann mit der Opposition auch locker auf. Etwa, wenn er nun gebetsmühlenartig eine weitere Steuerreform vor der nächsten Wahl ankündigt. Bei Gelegenheit könnte Faymann sagen, woher das Geld dafür kommt. Das Problem in Österreich sind jedenfalls sicher nicht Parlamentarier, die einen Budgetbeschluss verzögern wollen. Das gehört zu einer parlamentarischen Demokratie. Das Hauptproblem sind all jene Sonder- und Nachschichten, die es nicht gibt: weil verantwortliche Politiker vor Reformen kneifen.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2010)