Interview

Nachgefragt: „Brotlos“? Kunstausbildung in Krisenzeiten

Studierende der Opernklasse an der MDW bei Streamingaufnahmen.
Studierende der Opernklasse an der MDW bei Streamingaufnahmen.Daniel Willinger
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„Die Presse“ spricht mit Rektoren österreichischer Hochschulen über aktuelle Themen. Diesmal mit Andreas Mailath-Pokorny von der MUK, Ulrike Sych von der MDW und Georg Schulz von der Kunst-Uni Graz.

Wie sehr wurde der Lehrbetrieb durch die Pandemie gestört?

Andreas Mailath-Pokorny: Manches ist schwieriger geworden. Das erste Stichwort, das mir einfällt, ist Diversifizierung. Die Musik hat sich sicher noch breiter entwickelt.

Ulrike Sych: Zwar konnten wir im März 2019 die gesamte Universität in Lehre, Wissenschaft und Verwaltung ins Digitale legen. Schnell haben wir uns dann bemüht, in den Präsenzunterricht zurückzukehren, denn Kunstausbildung kann nicht zur Gänze durch Digitales ersetzt werden. Es braucht unbedingt auch den persönlichen Austausch.

Georg Schulz: Da die Bereiche Präsenzlehre und Veranstaltungen für uns essenziell sind, hat uns die Pandemie vor große Herausforderungen gestellt. Mit sehr großem Engagement aller Beteiligten und strengem Sicherheitskonzept ist es gelungen, den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten.

Hat sich durch Corona die Zahl an Studierenden verringert?

Mailath-Pokorny: Es gab einige wenige, die ihr Studium aufgegeben haben. Teilweise sind aber auch neue Formate entstanden, so haben die Studierenden selbst ein Onlinefestival organisiert. Viele Studierende üben Kunst abseits der Uni aus, um Geld zu verdienen. Das ist oft weggefallen und stellte ein ökonomisches Problem dar.

Sych: Wir beobachten, dass im Augenblick die Zahlen der Studienbewerber zurückgegangen sind. Das kann viele Gründe haben, die mit den Auswirkungen der Pandemie und der globalen Gesamtsituation zusammenhängen.

Schulz: Nein. Es gab zeitliche Verschiebungen bei Anmeldungen und Abschlüssen, aber keinen abnehmenden Trend.

Hat die Lust auf ein Kunststudium durch aktuelle Krisen abgenommen?

Mailath-Pokorny: Nein, statistisch gesehen haben wir gleichbleibende Bewerbungszahlen. Es gibt ein bisschen weniger Studierende aus den asiatischen Ländern und jetzt anteilsmäßig mehr aus Europa. Das ist aber verständlich in Zeiten, in denen man nicht weiß, ob Flugzeuge starten können. Offensichtlich hat die eigene Überzeugung, Kunst auszuüben und zu lernen, nichts mit der Gesamtsituation der Welt zu tun.

Sych: Ich gehe nicht davon aus.

Schulz: Im Unterschied zu Berichten aus dem Ausland können wir so etwas nicht beobachten.

Stichwort: brotlose Kunst. Müssen Kunstuniversitäten neue Wege finden, um auf einen veränderten Markt zu reagieren?

Mailath-Pokorny: Die Idee, dass wir ausschließlich Star-Solisten produzieren, ist natürlich eine falsche. Bereits vor der Pandemie hat man dieses Studium nicht gewählt, um reich zu werden. Einige haben es geschafft, und ein guter Teil unserer Studierenden geht in die Vermittlung (Musiklehre, Anm.), oder aber sie sind in Ensembles tätig. Beinahe alle unsere Abgänger kommen irgendwo unter. Diesbezüglich hat sich nichts verändert.

Sych: Ja, wir müssen schleunigst beginnen umzudenken, es werden neue Formate entstehen, neue Aufführungsorte auch im Digitalen etabliert. Kunst ist für eine funktionierende Gesellschaft von größter Relevanz. Sie gibt uns die Mittel in die Hand, Transformationsprozesse kreativ zu begleiten und zu reflektieren. Diese elementare, gesellschaftsrelevante Funktion von Kunst ist angesichts der gegenwärtigen Krisen, von Krieg und Polarisierung wichtiger denn je und fordert Künstlerinnen und Künstler ebenso wie uns als Universitäten und Ausbildungsstätten.

Schulz: Der Kunst- und Kulturbetrieb wird sich ändern müssen, ja. Die aktuellen Krisen beschleunigen diese Entwicklung. Da viele Kunstschaffende bereits unter prekären Bedingungen leben, treffen sie etwa krisenbedingte Teuerungen besonders hart.

Wie spiegelt sich das im Lehrveranstaltungsangebot wider?

Mailath-Pokorny: Das Career-Planning und Artist Development versuchen wir gerade noch stärker in den Unterricht an der MUK einzubauen. Das wird von den Studierenden auch verlangt.

Sych: Die MDW war auch schon vor Corona bemüht, den Studierenden möglichst viele Skills mitzugeben – natürlich den aktuellen Arbeitsmarkt beobachtend. Das „Career Center“ unterstützt die Studierenden unter anderem mit Workshops auf dem Weg in eine Karriere.

Schulz: Ein stärkerer Fokus auf Artistic Entrepreneurship war von Anfang an eines der zentralen Ziele meines Rektorats, wir fühlen uns durch die aktuellen Entwicklungen darin bestätigt.

Wie sehr betrifft der Krieg in der Ukraine die Universität?

Mailath-Pokorny: Ich habe zu Beginn des Krieges an die ganze Uni ausgeschickt, dass sich selbstverständlich unser Verhältnis zu den ukrainischen und russischen Studierenden und Lehrenden in keiner Weise verändert. Und dass wir allen Betroffenen, egal welcher Herkunft, unsere Unterstützung angedeihen lassen. Wir haben 16 Geflüchtete als Studierende aufgenommen, die nichts bezahlen müssen.

Sych: Wir versuchen so gut es geht, unsere vom Krieg betroffenen Studierenden zu unterstützen, durch ein gut funktionierendes Stipendien- und Spendenwesen sowie durch psychologische Unterstützung. Die MDW hat das Angebot der psychosozialen Beratung erhöht. Gerade in einer so schwerwiegenden Krisenzeit darf man nicht pauschalieren, sondern man muss die Menschen individuell wahrnehmen.

Schulz: Wir haben einen bedeutenden Anteil an Studierenden aus der Ukraine, dadurch sind wir direkt betroffen und engagieren uns auch stark für deren Unterstützung. Zudem nehmen wir Gaststudierende aus der Ukraine auf. Wir sind stolz darauf, dass bei uns Russen und Ukrainer friedvoll zusammen studieren und musizieren.

Erwarten Sie einen verstärkten Zulauf von Talenten aus der Ukraine oder Russland?

Mailath-Pokorny: Wir haben verstärkt Anfragen von Studierenden, die hier die Infrastruktur nutzen wollen, um als Fernstudium ihr Studium in der Ukraine fortsetzen zu können.

Sych: Das ist durchaus möglich. Die MDW ist streng qualitätsgesichert. Man kann bei uns nur durch eine bestandene Zulassungsprüfung studieren. Wir freuen uns über alle Talente, unabhängig von ihrer Herkunft.

Schulz: Aus der Ukraine erwarten wir durchaus einen Zulauf. Allerdings ist noch völlig offen, ob das eine Übergangssituation ist oder die Studierenden auch nach Ende des Krieges an der KUG bleiben werden. Alexander Haide

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2022)

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