Anschlag

Die bittere Aufarbeitung des Wien-Terrors

Andreas Wiesinger kehrte für „Die Presse“ an den Tatort, ins „Bermudadreieck“, zurück. Er wurde bei dem Anschlag verletzt. Nach Rache ist ihm aber nicht zumute.
Andreas Wiesinger kehrte für „Die Presse“ an den Tatort, ins „Bermudadreieck“, zurück. Er wurde bei dem Anschlag verletzt. Nach Rache ist ihm aber nicht zumute.Clemens Fabry
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Ab Dienstag stehen sechs junge Islamisten vor den Geschworenen. Sie sind angeklagt, den Terroristen, der am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt zuschlug, im Vorfeld tatkräftig unterstützt zu haben. Eine Bestandsaufnahme.

Er ist zurückgekehrt. Dorthin, wo er ein Bier trank, als am Abend des 2. November 2020 der islamistische Terrorist K. F. mit einem Sturmgewehr um die Ecke kam und das Feuer auf die im Freien sitzenden Gäste des Lokals eröffnete. Andreas Wiesinger nimmt wieder an dem kleinen, wackeligen Tisch Platz. Vor dem Beisl „Philosoph“, mitten in der Wiener Innenstadt-Ausgehmeile „Bermudadreieck“. Er sitzt genau dort, wo er vor fast zwei Jahren saß und erzählt, wie er dem großen Prozess entgegenblickt. Aber der Reihe nach.

Wiesinger hatte damals Riesenglück. Oder einen überaus starken Schutzengel. Die Projektile flogen ihm buchstäblich um die Ohren. Schlugen in nächster Nähe hinter ihm in der Hausmauer ein. Aber sie trafen ihn nicht tödlich. Er erlitt einen leichten Streifschuss am Kopf und einen Streifschuss am Knie. Die Verletzungen wurden später ambulant behandelt.

Attentäter K. F. tötete an jenem Abend vier Menschen. Zwei Dutzend weitere Opfer verletzte er durch Schüsse. Einige schwebten in Lebensgefahr. Noch während des Anschlags wurde der 20-Jährige von der Polizei erschossen. Der junge Mann war in Niederösterreich geboren worden und dort aufgewachsen. Er stammte aus nordmazedonischem Elternhaus, war Angehöriger der Volksgruppe der Albaner. Er ist tot; kann nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. Wohl aber jene Leute, die ihn mutmaßlich bei der Vorbereitung des Anschlags unterstützten – junge Islamisten, die ihm Waffen besorgten, ihn begleiteten und bestärkten.
Die Staatsanwaltschaft Wien ist davon überzeugt, dass K. F. Handlanger hatte. Und erläutert dies in einer umfangreichen, 117 Seiten starken Anklageschrift. Ab Dienstag (18. Oktober) wird der Anschlag und die Frage, wie es so weit kommen konnte, im Rahmen eines Geschworenenprozesses erörtert.

Was macht dies mit den Opfern, die überlebten? Was erwartet man sich von der ab Dienstag im Wiener Landesgericht für Strafsachen öffentlich stattfindenden Verhandlung? Was soll mit den Angeklagten geschehen? Letzteres beantwortet Wiesinger im Gespräch mit der „Presse“ so: „Wenn sie sich schuldig gemacht haben, sollten sie mit der vollen Härte der österreichischen Gesetze bestraft werden.“ Dabei macht der 44-Jährige, der als wissenschaftlicher Referent für Luftfahrt und Forschung tätig ist, keinen rachsüchtigen Eindruck. Eher einen nachdenklichen. Dann fügt er nach längerer Pause an: „Dennoch hoffe ich, dass sie nach Verbüßung einer eventuellen Strafe ein positiver Teil unserer Gesellschaft werden können. Geläuterte Extremisten können auch ein gutes Vorbild für Gesinnungsgenossen sein.“ Natürlich weiß Wiesinger, dass für alle sechs Männer die Unschuldsvermutung gilt.

Eine Frage drängt sich förmlich auf, zwei Jahre, nachdem der Terror nach Wien gekommen ist: Hat sich Wiesingers Leben geändert? Darauf sagt er: „Ich habe versucht, dass sich mein Leben nicht ändert. Ich gehe aber zum Beispiel viel mehr laufen als früher. Einfach, weil ich es noch kann. Ich hätte ja an dem Abend fast mein Knie verloren.“

Nach einem solchen Schockereignis komme es zu einer Verschiebung der Prioritäten. „Wenn in der Arbeit die üblichen Probleme kommen, sehe ich das ganz entspannt. Wenn man einmal angeschossen wurde, ist all das nur noch zweitrangig.“

Wie sieht es eigentlich mit der staatlichen Entschädigung aus? Schließlich ist (eher spät, aber dann doch) von der Republik ein Terroropferfonds eingerichtet worden. Dotiert mit 2,2 Millionen Euro. Er warte noch immer auf die Entschädigung, die man ihm zuerkennen wird, erklärt Wiesinger. Wie hoch diese Summe sei, wisse er nicht. Das Geld spiele für ihn aber keine große Rolle. „Die Entschädigung ist nicht wichtig für mich. Aber ich finde es ganz entscheidend für Leute, die schwer verletzt wurden.“

Die eigens eingeschaltete Opferschutzorganisation Weißer Ring bilanziert so: Aktuell werden 75 Personen im Rahmen des Fonds betreut. Davon sind mittlerweile für 51 Betroffene finanzielle Hilfeleistungen in Höhe von 1.870.000 Euro beschlossen und großteils auch ausgezahlt worden. Die Fälle der 24 verbleibenden Personen befinden sich noch in Bearbeitung. Insgesamt kümmert sich der Weiße Ring um 222 Betroffene des Terroranschlags.

Was kommt also mit dem Prozess auf die Öffentlichkeit zu? Nun, es geht um viel. Sollte es am Schluss rechtskräftige Schuldsprüche geben, wird der Terroranschlag künftig in einem etwas anderen Licht zu betrachten sein. Zwar ist die Einzeltäterthese mittlerweile zur kriminalistischen Gewissheit gereift – doch bezieht sich dies ausschließlich auf den Anschlag selbst. Im Vorfeld, so die Staatsanwaltschaft, habe K. F. eben mehrere, mitunter stark anpackende Helfer gehabt.

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