Interview

Peter Kaiser: „Man kann Tempo auf Autobahnen befristet reduzieren“

(c) Helge Bauer
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Was ist zumutbar? Hilfe bei Nahrung, Wohnen und Energie, aber da und dort Verzicht, meint Landeshauptmann Kaiser.

Die Presse: Mittlerweile gewinnt man den Eindruck, dass alle in diesem Land hilfsbedürftig sind und jeder Einzelne einen persönlichen Anspruch auf Staatshilfe hat. Ist es nicht auch Aufgabe der Politik, klare Grenzen zu setzen und Hilfsbedürftigkeit klar zu definieren?

Peter Kaiser: Sie sprechen mir mit dieser Frage aus der Seele. Für mich gibt es drei Schwerpunkte, bei denen geholfen werden muss. Erstens: Die Nahrung. Grundnahrungsmittel und der tägliche Lebensbedarf – also auch Hygieneartikel – müssen leistbar bleiben. Und zwar auf einem Niveau, das für alle gilt. Das kann man etwa über die Mehrwertsteuer schaffen oder mithilfe eines amtlichen Preislimits. Das Gesetz ist vorhanden. Das gilt nicht für Kaviar, aber sehr wohl für Brot, Milch, Butter, . . .

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Dieses Interview erscheint im Rahmen von „Austria's Leading Companies“. Die Beilage wird von der „Presse“-Redaktion in voller Unabhängigkeit gestaltet und erscheint in Kooperation mit dem KSV1870 und PwC Österreich. ALC wird unterstützt von A1, Casinos Austria, Commerzbank, DONAU Versicherung und Wiener Städtische Versicherungsverein, Škoda, TÜV AUSTRIA sowie Zero Project.

Redaktion: Hans Pleininger, hans.pleininger@diepresse.com
Autoren: Christian Scherl, Matthias Auer
Grafik: Martin Misarz
Infografik: Gregor Käfer
Content Management: Isabella Karner


Der zweite Schwerpunkt wäre dann?

Ein Dach über dem Kopf zu haben. Da geht es aktuell vor allem um die Mieten. Das kann man nicht mit Hilfen regeln. Denn je mehr der Staat Geld hergibt, umso stärker steigen die Mieten. Deshalb plädiere ich für ein Mietmoratorium. Zusätzlich könnte man die Steuern auf die Betriebskosten aussetzen. Das würde eine Entlastung jedenfalls um 20 Prozent bringen. Eine große Lücke haben wir allerdings bei Häusern. Hier würde es gesonderte Hilfen brauchen.


Und drittens?

Das ist der Bereich Energie, vor allem Strom. Der durchschnittliche Verbrauch sollte zu einem garantierten, leistbaren Preis gewährleistet sein, darüber hinaus bin ich für eine progressive Gestaltung bis hin zum Marktpreis. Aber auch hier sage ich klar: Eine Swimmingpoolheizung ist nicht lebensnotwendig, dafür braucht es kein Steuergeld.


Aber gerade bei der Energie reden wir von Weltmarktpreisen, da hat nationale Politik wenig Gestaltungsspielraum.

Deshalb muss dies auf EU-Ebene geschehen. Etwa die Entkoppelung des Stroms vom Gaspreis. Die EU sollte einen zentralen Gaseinkauf haben. Sonst gibt es einen Konkurrenzkampf unter den 27 EU-Staaten, der ja jetzt schon teilweise beginnt. Wir brauchen in dieser vielfältigen Krise eine sehr enge Abstimmung zwischen EU, Nationalstaaten und Regionen und vielleicht sogar Gemeinden. Ich bin mir ja gar nicht mehr sicher, ob es sich um eine vorübergehende Krise handelt oder um einen generellen Wendepunkt.


Der Kärntner Landesversorger Kelag hat zuletzt ebenfalls hohe Gewinne erzielt. Übergewinne? Gewinnabschöpfung?

Wir haben die Sonderdividende nicht wie der Bund mit der Gießkanne verteilt, sondern an jene, die bereits soziale Leistungen des Landes beziehen. Also jene, die Wohnbeihilfe oder Heizkostenzuschuss bekommen. Allerdings haben wir die Bezugsgrenzen erhöht. De facto gibt es also Förderungen bis hin zum Mittelstand.


Also Sonderdividende statt Gewinnabschöpfung?

Natürlich gehört dazu auch der Ausbau regenerativer Energiequellen, bei dem Kärnten übrigens führend ist. Ob Solarthermie, Fotovoltaik oder Windkraft. Diese Investitionen müssen in einem ordentlichen Verhältnis zur Dividende stehen. Bei der Kelag ist dem so. Wir haben beschlossen, dass wir die zu erwartende Dividende nächstes Jahr bereits im Jänner dazu verwenden, besonders betroffenen Haushalten wieder zu helfen.


Wenn die Politik bei Nahrung, Wohnung und Energie in den Markt eingreift, Preisdeckel verhängt, dann muss doch der Staat die Differenz zum Marktpreis bezahlen.

Natürlich muss dafür Steuergeld aufgewendet werden, aber es wird zielorientiert für die Grundbedürfnisse verwendet. Ich persönlich bin ohnehin der Meinung, dass diese Grundbedürfnisse generell nicht den Marktregeln zu unterwerfen sind. Ich erinnere nur an die sogenannte Strommarktliberalisierung. Tatsächlich hat man damit die Grundversorgung aufgegeben. Diese Liberalisierung funktioniert gut, solang keine Krise, keine Engpässe, kein Krieg herrscht. Deshalb sollten wir jetzt wieder darüber diskutieren, welche Dinge man ausschließlich dem Markt überlassen soll und welche nicht.


Und so ein Preisdeckel hat natürlich auch den Vorteil, dass man das böse Wort „Verzicht“ nicht aussprechen muss. Energiesparen wird darauf reduziert, dass man das Licht abdreht, wenn man aus dem Zimmer geht. Kann man den Menschen so wenig zumuten?

Man mutet den Menschen ohnehin einiges zu. Aber man kann nicht einen Verzicht bei Grundnahrungsmittel verlangen. Aber ich bin sehr wohl dafür, dass Verzichte stattfinden werden. Bevor man einen Kindergarten nicht beheizt, kann man auch befristet das Tempo auf Autobahnen von 130 auf 100 km/h reduzieren. Solche Dinge sind den Menschen zumutbar.


Aber wissen wir wirklich, ob diese Versorgungssicherheit über den Winter gegeben ist? Wann ist der Punkt erreicht, an dem diese Zumutungen real werden müssen?

Ich sehe diesen Punkt sehr nahe. Beim Tempolimit könnte man ja etwa vorab festlegen, dass es ab einer gewissen Teuerungsrate in Kraft tritt. Wenn etwa die Inflation zwei Monate hintereinander über zehn Prozent liegt, könnte man temporär das Tempo reduzieren. Fällt die Inflation wieder unter acht Prozent, endet das Tempolimit.


Im September lag die Inflation bereits über zehn Prozent.

Sollte sie im Oktober weithin über zehn Prozent liegen, würde die Regelung in Kraft treten. Dieses Beispiel soll vor allem veranschaulichen, dass man derartige Dinge klar nachvollziehbar gestalten kann.


Gibt es eine Art Energiekrisenplan des Landes Kärnten?

Wenn es zu einer Steuerung kommt, dann wird das wohl beim Gas sein. Dann werden Maßnahmen eingeleitet. Aber diese Maßnahmen werden vom Bund ausgelöst. Diese müssen jedoch per Verordnung von den Ländern umgesetzt werden. Ich habe für 18. Oktober einen Sicherheitsgipfel einberufen. Dort gehen wir die Abläufe durch.


Wird das dann wie in der Coronakrise geschehen, dass also jedes Bundesland die Verordnung der Bundes nach den eigenen Vorstellungen interpretiert?

Natürlich ist das in erster Linie Aufgabe des zuständigen Ministeriums. Die Umweltministerin trägt also auch in letzter Konsequenz die Verantwortung.


Und wenn sie sagt, im Zweifelsfall stehen im Winter die Seilbahnen?

Ich kann mir in Österreich kein Bundesland vorstellen, das dem Skilift den Vorzug gegenüber dem Kindergarten gibt. Aber natürlich hat es Sinn, die örtlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen.


Generell steigen die Unternehmensinsolvenzen wieder. Merken Sie auch in Kärnten, dass es für den einen oder anderen Betrieb eine Krise zu viel war?

Erfreulicherweise sind diese Insolvenzen noch nicht eingetroffen. Viele Unternehmen sind besser durch die Covid-Krise gekommen, als man gedacht hat. Auch das dritte Quartal ist noch halbwegs gut. Holpriger wird es jetzt. Probleme bereiten nach wie vor die Lieferketten, aber vor allem der Energiepreis.


Und die hohen Lohnforderungen?

Diesem Argument kann man leicht entgegentreten. Denn offensichtlich gab es zuletzt keine gerechte Aufteilung. Wenn das reichste Prozent in Österreich mehr hat als die unteren 50 Prozent, dann kann man das nicht mehr mit Leistung erklären. Aufgrund der gehäuften Gewinne in den vergangenen Jahren ist also eine gerechtere Entlohnung notwendig. Das ist für mich völlig klar.


Sie haben es bereits gesagt: Diese Krisen sind möglicherweise auch ein Wendepunkt. In welcher Hinsicht?

Der Krieg in der Ukraine wird hoffentlich irgendwann einmal ein Ende haben. Eine Pandemie wird zumindest auf eine Endemie zurückgestuft werden. Die Klimasituation ist allerdings ein Wendepunkt. Hier braucht es auch Verzichte oder eine andere Definition von Fortschritt. Bisher hat Fortschritt nur „mehr“ bedeutet. Ich weiß nicht mehr, ob ich meinen Enkeln werde sagen können, dass sie es einmal besser haben werden als ich. Allerdings maße ich mir nicht an, die Werte der Zukunft zu definieren. Ich bin in einer sehr materiell geprägten Welt aufgewachsen.


Wie könnte die neue Definition von Fortschritt lauten?

Fortschritt bedeutet, wenn ich Enkelverantwortung realisiere. Ich möchte etwa, dass jeder Regierungsakt in Kärnten künftig nicht nur auf Finanzierbarkeit geprüft wird, sondern auch darauf, wie er sich auf Klima und Natur auswirkt. Es braucht also eine ökonomische und eine ökologische Bewertung.


Wir leben in einer „postoptimistischen Zeit“, wie es heißt. Momentan hat man oft den Eindruck, Politiker kultivieren diese Einstellung. Braucht es nicht gerade jetzt mehr Zuversicht?

Ja, wir haben es selbst in der Hand. Auch wenn viele meinen, wir kommen gegen die vielen chinesischen und indischen Hände nicht an. Das ist der falsche Zugang. Es gibt auch viele positive Entwicklungen, ich denke nur an die höhere Lebenserwartung. Vielleicht braucht es einen realitätsbezogeneren Optimismus und nicht den „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Optimismus, bei dem es nur um Materielles geht.


Wer schon alles hat, kann dem Materialismus leicht entsagen, würde ein Inder oder Chinese sagen.

Wenn ich vom Materiellen rede, dann denke ich etwa an all die unsäglichen Werbespots in diversen Sendern. Was man denn nicht alles braucht, um annähernd glücklich zu sein. Diese Gehirnwäsche ist in sozialen Medien noch viel schlimmer. Und sie zeigt, welch falsche Triebfeder hinter diesem Wohlstandsdenken steckt.

Zur Person

Peter Kaiser ist seit März 2013 Landeshauptmann von Kärnten. Der 1958 geborene SPÖ-Politiker studierte Soziologie und Pädagogik und engagierte sich sehr früh politisch, etwa als Chef der Sozialistischen Jugend Kärntens. 2008 wurde er Mitglied der Landesregierung. Bei den Landtagswahlen 2013 führte er die SPÖ zu einem Erdrutschsieg und eroberte Platz eins von der FPÖ zurück. Bei den Landtagswahlen 2018 legte die SPÖ weitere elf Prozentpunkte zu und verfehlte mit 48 Prozent nur knapp die absolute Mehrheit. Kommendes Frühjahr stehen die nächsten Landtagswahlen ins Haus.
Im Interview mit der „Presse“ spricht sich Kaiser für höhe Lohnabschlüsse aus, es habe zuletzt „keine gerechte Aufteilung“ zwischen Unternehmen und Mitarbeitern gegeben. Aufgrund der gehäuften Gewinne sei eine „gerechte Entlohnung“ notwendig. Um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen, brauche es „vernünftigen Zuzug“, sagt Kaiser. Auch Bildung und Weiterbildung müssen forciert werden, die einfache Tätigkeiten sukzessive von Maschinen übernommen werden.

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