Quergeschrieben

Sorokins Sprachgewalt gegen Putins großrussische Fantasien

Vladimir Sorokin ist Ehrengast von „Literatur im Nebel“ in Heidenreichstein. In seinen dystopischen Romanen hat er präzise Russlands Gegenwart prognostiziert.

Bekanntlich führt Putin in der Ukraine gar keinen Krieg, sondern eh nur eine „militärische Spezialoperation“. Auch das Sowjetregime sprach seinerzeit euphemistisch von Friedensmission, als es zwischen Dezember 1979 und Februar 1989 eine Million Soldaten in den Krieg nach Afghanistan schickte, um ein moskaufreundliches Regime am Hindukusch zu installieren. Zinkjungen nannte man die mehr als fünfzigtausend Gefallenen, deren verstümmelte Leichen in Zinksärgen nach Hause geliefert wurden. Die Beerdigungen sollten kein Aufsehen erregen; um die wahre Zahl der Opfer zu verschleiern, durften niemals mehrere Soldaten nebeneinander bestattet werden. Nachzulesen ist dies in dem beklemmenden Dokumentarroman „Zinkjungen. Afghanistan und die Folgen“ der ukrainisch-belarussischen Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. Sie war vor fünf Jahren Ehrengast von „Literatur im Nebel“ in Heidenreichstein; diesen Freitag und Samstag wird nun der exilrussische Schriftsteller Vladimir Sorokin im nördlichen Waldviertel mit einem zweitägigen Lesefest geehrt (das ich – aus Compliancegründen sei's erwähnt – seit den Anfängen 2006 moderiere).

Ausgerechnet ein Russe in Zeiten des Ukraine-Kriegs? Ja, ausgerechnet. Freilich gab es im Vorfeld Diskussionsbedarf, schließlich wird aus Solidarität mit der Ukraine oft der Boykott russischer Kunst und Kultur eingefordert. Auch Kunstschaffende, die sich offen gegen Putin und den Krieg positionieren, sollten demnach kollektivschuldigst bleiben, wo sie sind: in der inneren oder äußeren Immigration. Die Literatur-im-Nebel-Macher aber verschaffen nun zwei Tage lang dem anderen, dem oppositionellen Russland Aufmerksamkeit und Gehör.

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