Interview

Christopher Drexler: „Teure Energie gefährdet Wohlstand und sozialen Frieden“

(c) GERY WOLF
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Eine Deindustrialisierung müsse unbedingt verhindert werden, sagt Landeshauptmann Christopher Drexler.

Die Presse: Ganz Europa befindet sich derzeit in einer Energiekrise. Wie viele andere Großstädte setzt auch Graz bei der Wärmeversorgung stark auf Fernwärme. Diese stammt zum Teil auch aus Abwärme von Industriebetrieben. Welche Auswirkungen hätte es nun, wenn es dort im Winter zu Einschränkungen der Gasversorgung käme?

Christopher Drexler: Meine Zuversicht ist groß, dass wir in diesem Winter trotz aller Probleme keine kalten Wohnungen haben werden. Die Wärmeversorgung von Graz steht ja auf mehreren Säulen, die Auskopplung von Wärme aus der Industrie ist dabei nur eine.


Dennoch verändert sich vieles. So wird im Heizwerk Puchstraße wieder Öl verbrannt. Mit Mellach könnte direkt neben Graz wieder ein Kohlekraftwerk ans Netz gehen. Müssen wir die Renaissance der schmutzigen Fossilen als notwendig hinnehmen?

Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen. Das haben wir in der Coronapandemie gesehen, aber auch jetzt, wo es die größte Teuerung gibt, die meine Generation je erlebt hat und erstmals seit Langem auch wieder einen Angriffskrieg auf europäischem Boden. Und daher ist es in einer solchen Situation nur umsichtig, alle Mittel und Werkzeuge zu nutzen, um die Vertiefung der Krise zu verhindern. Natürlich findet es niemand charmant, ein Kohlekraftwerk anzuwerfen. Aber wenn es notwendig ist, sollte man es machen. Und ich glaube, dass die aktuelle Situation langfristig sogar einen Boost für grüne Technologie bringen wird. Denn was es bedeutet, einseitig von fossilen Energieträgern abhängig zu sein, ist vielen in die Knochen gefahren.

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Dieses Interview erscheint im Rahmen von „Austria's Leading Companies“. Die Beilage wird von der „Presse“-Redaktion in voller Unabhängigkeit gestaltet und erscheint in Kooperation mit dem KSV1870 und PwC Österreich. ALC wird unterstützt von A1, Casinos Austria, Commerzbank, DONAU Versicherung und Wiener Städtische Versicherungsverein, Škoda, TÜV AUSTRIA sowie Zero Project.

Redaktion: Hans Pleininger, hans.pleininger@diepresse.com
Autoren: Christian Scherl, Matthias Auer
Grafik: Martin Misarz
Infografik: Gregor Käfer
Content Management: Isabella Karner


Auch wenn die Versorgung gesichert bleibt, gehen die Preise nach oben. Die Energie Steiermark will die Fernwärme-Preise um 65 Prozent anheben. Entsteht hier nicht gerade massiver sozialer Sprengstoff?

Das birgt einen gewissen Sprengstoff. Daher haben wir beschlossen, den Heizkostenzuschuss zu verdoppeln. Das kommt zusätzlich zum Steiermark-Bonus für einkommensschwache Haushalte. Wir ergänzen also die Maßnahmen des Bundes punktuell.


Wie gut reagiert die Bundesregierung Ihrer Ansicht nach bisher auf die Krise?

Man kann ähnlich wie bei den Coronahilfen im Nachhinein sicherlich beckmesserisch darüber diskutieren, ob jede Maßnahme vollkommen richtig war. Man muss nun jedoch schnell und wirksam helfen. Und daher halte ich die getroffenen Entscheidungen in Summe für richtig. Wir sehen nur, dass wir irgendwann an die Grenze der Möglichkeiten kommen, was die Abfederung von Preissteigerungen durch die öffentliche Hand betrifft. Und es darf auch keinen Gewöhnungseffekt geben, denn irgendwann werden die Märkte auch wieder ins Lot kommen.


Ist es sinnvoll, dass jedes Land zusätzlich zum Bund fördert? In Niederösterreich erhalten Stromkunden in Summe nun sogar bis zu einem gewissen Stromverbrauch einen Cent je Kilowattstunde.

Die Situation ist in jeder Region anders, weil es etwa unterschiedliche Voraussetzungen bei der Stromproduktion gibt. Daher ist es sinnvoll, dass es hier auch eine gewisse Individualisierung der Hilfen gibt. Niederösterreich möchte ich nicht kommentieren, dort ist es sicherlich gut überlegt worden.


Auf europäischer Ebene wird derzeit stark über die Abschöpfung der Übergewinne von Energieversorgern diskutiert. Das würde auch die Energie Steiermark betreffen. Sind Sie dafür, dass diese Gewinne abgeschöpft werden?

Hier sehe ich mit großer Spannung den konkreten Einigungen auf EU-Ebene entgegen. Die Energie Steiermark gehört dabei auch sicher nicht zu jenen Unternehmen, die besonders von Windfall Profits betroffen sind, weil der Anteil der selbst produzierten Energie relativ gering ist und sie daher auf den Märkten einkaufen muss.


Nicht nur die Privaten sind stark betroffen, sondern auch die Unternehmen. Die Steiermark ist ein Industrieland mit einer starken Papier-, Stahl- und Grundstoffindustrie. Könnte das ein Problem werden?

Die Steiermark ist neben Oberösterreich das wesentlichste Industrieland in Österreich. Und es gibt hier tatsächlich große Sorgen. Denn, wenn es nicht gelingt, auf europäischer Ebene die Situation der Energiepreise in den Griff zu bekommen, dann ist das ein großes Problem für die Wettbewerbsfähigkeit. Für die europäische, die österreichische und notabene auch für die steirische Industrie – etwa im Verhältnis zu jener in Nordamerika. Die Industrie ist aber das Rückgrat unseres Wohlstandes. Daher hoffe ich, dass es beispielsweise eine Entkoppelung des Strom- vom Gaspreis geben wird. Die teure Energie gefährdet den Wohlstand und den sozialen Frieden.


Gas wird aber teuer bleiben. Denn die wirtschaftlichen Verbindungen zu Russland bleiben wohl dauerhaft gekappt. Was kann hier mittelfristig gemacht werden?

Wir müssen eine wirkliche Beschleunigung bei der Nutzung erneuerbarer Energieträger schaffen. Kurzfristig werden wir aber auch andere Quellen für die Fossilen brauchen.


Als eine solche Quelle gelten Gasvorkommen in Österreich, die mittels Fracking gefördert werden könnten. Hier hat die Montan-Uni Leoben ein umweltverträgliches Verfahren entwickelt. Das wird dennoch abgelehnt. Aus Ihrer Sicht nachvollziehbar?

Die Politik ist immer dann schlecht beraten, wenn sie versucht, technologischen Fortschritt durch Vorab-Reglementierungen zu lenken oder zu behindern. Ich würde dafür plädieren, sich diese Forschungsergebnisse sehr genau anzusehen und zumindest perspektivisch zu prüfen, wie man für die Zukunft damit umgeht.


Wären diese Erdgas-Vorkommen in der Steiermark, gäbe es also schon Probebohrungen?

So weit würde ich nicht gehen. Ich habe auch viel Verständnis für die große Skepsis. Jeder hat das Bild der Frackingsituation in den USA vor Augen. Aber: Wir werden zur Bewältigung der Energie- und Klimakrise natürlich auch auf neue Technologien setzen müssen.


Dennoch ist der Standort bedroht: Was würde eine Deindustrialisierung für die Steiermark bedeuten?

Es darf zu keiner Deindustrialisierung kommen. Es ist daher alles zu unternehmen, damit wir ein attraktiver Wirtschafts- und Industriestandort bleiben. Jeder zweite Euro Wertschöpfung wird in der Steiermark aus dem Export finanziert. Das Szenario einer Deindustrialisierung wäre hier der Worst Case.


Die hohen Energiekosten betreffen ja nicht nur die Industrie. Es gibt auch energieintensive Dienstleistungsbetriebe, etwa Thermen. Haben sich schon Thermen-Betreiber mit der Bitte um Hilfe bei Ihnen gemeldet?

Konkret haben sich noch keine Betreiber bei mir gemeldet, aber das Problem ist evident. Denn die hohen Preise sind mit ihren Auswirkungen schon lang in allen Bereichen der Wirtschaft angelangt.


Gleichzeitig ist die Steiermark eines der waldreichsten Bundesländer. Welche Rolle kann sie beim Thema Erneuerbare spielen?

Ich möchte, dass die Steiermark eine Musterregion in der Energiewende und bei den Erneuerbaren wird. Das heißt, dass wir bei allen vier erneuerbaren Technologien – Wind, Sonne, Wasser und Biomasse – möglichst viel an Potenzial heben wollen. Das gilt ausdrücklich auch für die Wasserkraft, die vonseiten der Grünen ja oft nicht mehr gewünscht ist. Und bei der Biomasse hoffe ich, dass es hier auch zu einer sinnvollen Bewertung auf europäischer Ebene kommt. Es wäre nämlich inakzeptabel, wenn Atomkraft künftig als grün gilt, Biomasse jedoch nicht mehr als CO2-neutral angesehen werden würde.


Bei der Zahl der Windräder ist die Steiermark am dritten Platz nach Niederösterreich und dem Burgenland. Manche Länder haben kein einziges Windrad − aus Gründen des Landschaftsschutzes. Wie sehen Sie das?

Wir haben auch einen entwickelten Tourismus, und wir haben auch schöne Berge. Die mögen zwar ein bisschen niedriger sein als jene in Tirol. Aber man kann nicht einfach gewisse Technologien von vornherein ausschließen. Jeder weiß, dass eine Windkraftanlage ein Eingriff in das Landschaftsbild ist. Es geht also immer um eine Abwägung. Die große Herausforderung unserer Generation, den Klimawandel in den Griff zu bekommen, wiegt hier aber schwerer als ästhetische Bedenken bei einzelnen wenigen Landschaftsbildern. Ich bin also froh, dass wir bereits 104 Räder installiert haben und bekenne mich auch dazu, dass wir das noch weiter stark ausbauen müssen.


Laut Unternehmen gibt es genügend Projekte und auch das notwendige Geld. Das Problem seien aber die langen Verfahren bei den Umweltverträglichkeitsprüfungen. Diese führen die Länder durch. Warum dauern sie so lang?

Die Abwicklung der Verfahren obliegt den Ländern. Wir müssen uns dabei aber an das Gesetz halten. Und das ist Bundeskompetenz. Wenn wir es mit Klimaschutz und Energiewende ernst meinen, dann müssen wir die Verfahren per Gesetz massiv entschlacken und beschleunigen.


Im Endeffekt bedeutet das, dass Einspruchsrechte reduziert werden. Müssen lokale Umweltinteressen also hinter die globalen Klimainteressen gestellt werden?

Ein klares Ja.


Ein großer Hebel bei Energie ist aber auch der effizientere Umgang mit ihr. Könnten die Menschen sorgsamer sein?

Ich glaube, das ist bereits der Fall. Der Gasverbrauch ist im Vergleich zum Vorjahr bereits erheblich gesunken, weil die Sensitivität der Menschen gestiegen ist. Wenn wir hier noch entsprechende Investitionen tätigen, kann hier noch viel gemacht werden. Und das ist oft keine komplexe Technologie − etwa die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED in den Gemeinden.


Zum Abschluss noch eine Frage zum Verkehr: Hier wurde das Aus für den Lobautunnel bundesweit groß diskutiert. Etwas untergegangen ist dabei, dass auch andere Projekte gestoppt wurden − etwa der dreispurige Ausbau der Pyhrnautobahn A9 von Graz nach Süden. Werden Sie das so akzeptieren?

Diese Entscheidung ist kommuniziert worden, bevor ich zum Landeshauptmann geworden bin, und ich werde bei diesem Thema auf Dialog setzen. Daher will ich nicht über die Ausrichtung von Positionen über Medien hier einsteigen. Es gibt mir aber schon zu denken, wenn ich jeden Tag im Verkehrsfunk höre, wie lang man sich staut, wenn man von Leibnitz oder Wildon nach Graz kommen will.

Zur Person

Christopher Drexler ist seit 4. Juli 2022 Landeshauptmann der Steiermark. Er folgte in dieser Funktion auf Hermann Schützenhöfer, der zuvor sieben Jahre diese Funktion innehatte. Drexler ist bereits seit 2014 Mitglied der steirischen Landesregierung. Zuerst als Landesrat für Wissenschaft und Forschung sowie Gesundheit und Pflege, ab 2017 als Kulturlandesrat. In der steirischen Politik ist der 1971 geborene Grazer schon seit dem Jahr 2000 tätig, in den ersten 14 Jahren als Landtagsabgeordneter, elf davon auch als Klubobmann der ÖVP-Landtagsfraktion. Aber auch bereits in den 1990er-Jahren war der Jurist Drexler im Rahmen des ÖAAB politisch aktiv.
Drexler fiel in der Vergangenheit immer wieder durch kontroverse Positionierungen auf. So befürwortete er schon 2004 die gleichgeschlechtliche Ehe und plädierte 2007 für ein „Hinterfragen“ der Neutralität Österreichs.

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