Interview

"Xi Jinping ist eine imperiale Figur"

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Der bekannte China-Experte Kerry Brown erklärt, warum die KP ihre Macht personalisiert und wann das für die Partei ein Problem werden könnte. Und warum China sein System nicht exportieren will.


Die Presse: Noch nie seit Mao Zedong hatte ein KP-Führer in China so viel Macht wie Xi Jinping. Was ist der Zweck der Personalisierung der KP-Herrschaft?

Kerry Brown: Xi Jinping ist ein loyaler Diener der Kommunistischen Partei. Die derzeitige Entwicklung hat also weniger mit seinen persönlichen Ambitionen zu tun als mit den Zielen der Partei. Ihrer Meinung nach ist eine starke Zentralisierung der Macht die effizienteste Art, China heute zu regieren. Die Allmacht der KP soll sich in einer einzigen Person widerspiegeln. Symbolik spielt dabei eine zentrale Rolle: Xi verkörpert alte, konfuzianische Traditionen, ist „Vater der Nation“. Und er ist eine imperiale Figur. Wie die Kaiser der Vergangenheit hat er eine grandiose, abstrakte Macht, ist erhaben und unerreichbar. Durch Xi zeigt die Partei, dass sie so mächtig wie nie zuvor ist. Tatsächlich kann sie heute – dank neuer Technologien – das Volk ständig kontrollieren und überwachen.


Warum ausgerechnet Xi Jinping?

Xi war stets loyal, konservativ und unauffällig, deshalb eignete er sich als Führer. Er ist auch ein Reformer, aber im Sinne der KP, nicht des Westens. Übrigens ist die Vorstellung des „liberalen“ Reformers in einem System wie dem kommunistisch regierten China ein Mythos. Xi hat Partei und Staat durch seine Anti-Korruptions-Kampagnen reformiert, aber eben nur in bestimmten Bereichen. Partei und Staat folgen nun Regeln, sind dadurch auch vorhersehbarer geworden. Und: Xi hat aus China ein Land gemacht, vor dem sich das Ausland fürchtet, das man ernst nimmt. Das kommt positiv an.


Wie widerstandsfähig ist Xi Jinpings System, auch angesichts der prekären Wirtschaftslage?

Die wirtschaftliche Lage ist ein großes Problem. China hat ein hartes Jahr vor sich, wir wissen nicht, wie China in einer Rezession oder gar Depression aussehen wird. Deshalb ist der Null-Covid-Kurs langfristig nicht haltbar, die ökonomischen Folgen sind desaströs. Die Wirtschaftslage macht Xis Führung schwieriger. Wenn ein Anführer Reichtum schafft, toleriert ihn die Bevölkerung, selbst wenn sie ihn nicht liebt. Fällt das weg, steigt der Frust. Xis Führung beruht auf totaler Kontrolle, das funktioniert bisher. Doch in Zukunft könnte dies zum Problem werden – so wie bei Wladimir Putin: Der ließ intern keine Kritik mehr zu und machte große Fehler. Vielleicht finden dann in Peking an der Führungsspitze Veränderungen statt, die Partei ist flexibler, als man denkt. Aber eine Alternative zur KP ist nicht in Sicht, schon gar nicht jemand, der Dinge radikal anders tun würde in China.


Die KP ersetzt ihr Wohlstand-Postulat durch Nationalismus und Sicherheit. Ist das gefährlich?

Je unsicherer die wirtschaftliche Lage ist, desto nationalistischer wird China international auftreten. Das ist gefährlich. Der Bevölkerung sind tatsächlich nicht nur materielle Dinge wichtig, es geht auch um Stolz, den Wunsch nach einem mächtigen China, das nicht bedroht werden kann. Xi verkörpert auch Chinas Selbstbewusstsein im 21. Jahrhundert.


Wie gerechtfertigt ist die Angst vor Chinas Einfluss?

Es findet zunehmend ein „psychologischer Krieg“ zwischen Westen und China statt, mit dem Westen, der zunehmend ängstlich reagiert. Es besteht kein Zweifel: China hat Einfluss, allein weil es so groß und wirtschaftlich dominant ist. Dieser Einfluss wird stärker. Und: China ist aufdringlich. Der Vorteil ist, dass jetzt jeder über diese mysteriöse Sache redet, die Chinas Einfluss ist.


Welche globale Rolle strebt China an?

China will eine dominante Regionalmacht sein. Und es will Reichtum, deshalb drängt es in bestimmte Regionen, besteht auf Handel-, Wirtschafts- und Sicherheitszusammenarbeit. Aber Peking will nicht eine globale Macht wie die USA werden. Erstens, weil das zu teuer ist, und zweitens, weil China keine Werte exportiert. Ich glaube nicht, dass Peking gezielte Absichten hat, sein „chinesisches Modell“ international aufzudrängen. Dieses System ist einzigartig. Ich sehe eine Zukunft, in der die Chinesen diesen Reichtum erreicht haben werden. Aber das wird keine unipolare, chinesische Welt.


Wie sollen EU und USA künftig mit China umgehen?

In so vielen Bereichen müssen wir zusammenarbeiten, da haben wir gar nicht die Wahl: beim Klima, Wirtschaftswachstum, dem Kampf gegen Pandemien. Uns muss klar sein, was wir wollen, wo die Gefahren sind, bevor wir mit China verhandeln. Eines müssen wir jedoch akzeptieren: Wir werden China nicht verändern, auch nicht den Standpunkt der Partei.


Wie soll der Westen dann bei heiklen Fragen reagieren, bei Taiwan oder bei Menschenrechten?

In Taiwan leben 23 Millionen Menschen, die eine „Wiedervereinigung“ nicht akzeptieren werden. Deshalb geht es bei Taiwan auch um globale Sicherheit. Wir sollten alles tun, damit der Status quo (autonom regiertes Taiwan, Anm.) beibehalten wird. Die Taiwan-Frage wird lang nicht gelöst werden. Eine andere Frage sind die Menschenrechte. Wir sollen, müssen diese thematisieren. Aber wir müssen auch wissen, dass China uns nicht anhören wird. Wir müssen also effizientere Überzeugungsstrategien finden als nur Kritik.


Wie lang noch wird China Russland unterstützen?

Russland macht viele Dinge, mit denen China unglücklich ist. Wenn sich die Lage in der Ukraine weiter so entwickelt, es noch mehr Instabilität gibt, wird China den Druck auf Russland erhöhen. Denn Peking hat eigene Interessen in der Region. Beim G-20-Gipfel im November in Bali könnte Xi daher eine schärfere Sprache gegenüber Russland verwenden, deutlicher sagen, dass er ein Ende des Krieges will. Aber eines bleibt klar: China ist kein Partner des Westens.

Kerry Brown

Zur Person

Der britische Sinologe Kerry Brown leitet das „China Institute“ am King's College in London. Er ist Associate Fellow des Chatham House in London und war 1998-2005 Erster Sekretär der britischen Botschaft in Peking. Der Autor von „Xi: A Study in Power“ (2022) oder
„Die Welt des Xi Jinping: Alles, was man über das neue China wissen muss“ (2018) ist einer der einflussreichsten China-Kenner im Westen.

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