Weißrusslands Präsident Lukaschenko hält die Opposition in Zaum. Auch wirtschaftlich kommt er "zunächst" mithilfe Moskaus durch. Seinem Wirtschaftsmodell wird nicht zum ersten Mao ein Bankrott vorausgesagt.
Moskau. Auch am Dienstag irrten hunderte Angehörige von Behörde zu Behörde, um Informationen über das Schicksal der Festgenommenen in Weißrusslands Hauptstadt Minsk zu erhalten. Ganze 639, also etwa ein Zehntel derer, die friedlich gegen die Fälschungen bei den weißrussischen Präsidentenwahlen protestiert hatten und dann von den Einsatzkräften malträtiert worden waren, landeten in Gewahrsam – darunter fast alle Oppositionskandidaten. Ein Teil wurde entlassen, der Rest erhielt zwischen fünf und 15 Tagen Arrest aufgebrummt. Manchen droht bis zu 15 Jahren Haft, heißt es seitens des Innenministeriums.
Für die EU steht damit auch die in Aussicht gestellte Finanzhilfe von drei Mrd. Euro infrage, die an die Durchführung freier Wahlen gekoppelt war. In Wahrheit war die Finanzhilfe darauf ausgelegt, eine Teilnahme Weißrusslands an einer Zollunion und einem gemeinsamen Wirtschaftsraum mit Russland und Kasachstan zu verhindern, sagt Andrej Suzdalcew, Weißrussland-Experte der Moskauer Higher School of Economics. Die Wende sei also schon vor den Wahlen gekommen, als sich Moskau plötzlich mit Weißrussland über die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes einigte.
Es war diese Einigung, die Lukaschenko ohne Rücksicht auf die Reaktion in Europa zum harten Durchgreifen in Minsk animiert hat, sind sich Experten weitgehend einig. Das Übereinkommen mit Moskau bringt Weißrussland zwischen drei und vier Mrd. Dollar zusätzlich ein. Seit Jahren lebt Lukaschenko von Subventionen aus Russland, das sein Öl und Gas billig nach Weißrussland liefert und auch einen gewissen Teil des Waffenexports über Weißrussland abwickelt. Erst als Russland vor drei Jahren die Preise erhöhte, begann Lukaschenko vermehrt neue Geldquellen aufzutreiben.
Kurze Verschnaufpause
Die Einigung mit Moskau, die Vergünstigungen im Ölhandel bringt, verschafft Lukaschenko eine wichtige Verschnaufpause. Dass er für seine Planwirtschaft, die zu mehr als zwei Dritteln aus Staatsbetrieben besteht, Geld braucht, ist offensichtlich. Lukaschenko hat überall geborgt. China liefert auf Pump, Venezuela ebenso. Und auch der Internationale Währungsfonds hat dem Staat seit Beginn der Wirtschaftskrise gut drei Mrd. Dollar zur Verfügung gestellt.
Das Programm lief im März aus, weil Lukaschenko bei einer Fortsetzung auf die Lohn- und Pensionserhöhungen um 30 Prozent vor den Wahlen hätte verzichten müssen. Auch hat er das vereinbarte Privatisierungsprogramm aus Angst vor Kontrollverlust zwischenzeitlich auf Eis gelegt.
Ab 2011 muss Lukaschenko hohe Zinsen für die Kredite zurückzahlen. Nicht zum ersten Mal wird seinem Wirtschaftsmodell daher ein Bankrott vorausgesagt. „Die aktuellen makroökonomischen Indikatoren geben ein gemischtes Bild ab“, schreibt das German Economic Team Belarus (GET). Es brauche eine Kurskorrektur nach den Wahlen: „Die Privatisierung ist der Knackpunkt“, erklärt GET-Chef Robert Kirchner.
Der oftmals prognostizierte wirtschaftliche Kollaps könnte allerdings weiter auf sich warten lassen. Der kritische Moment komme nicht 2011, sondern 2012, sagt Suzdalcev: Dann nimmt Russland die neue Pipeline BTS-2 zum russischen Ostseehafen Ust-Luga in Betrieb. Die Pipeline wird zur Umgehung des weißrussischen Transits gebaut, sodass Lukaschenko um wichtige Exporteinnahmen umfällt. „Das wird ernsthafte politische Folgen haben“, so Suzdalcew
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2010)